Briefwechsel zum Thema Qualität der gymnasialen Hochschulvorbereitung

18.02.2013 in Briefwechsel. Kommentare deaktiviert für Briefwechsel zum Thema Qualität der gymnasialen Hochschulvorbereitung.

Sehr geehrter Herr Abgeordneter Dr. Goppel,

da zurzeit […] hinsichtlich Ihrer Äußerungen über die Qualität der Mathematik- und Physiklehrkräfte mehrere Mails im Umlauf sind, erlaube ich mir, […] einige Gedanken zu formulieren.
[…]
Zum Thema:

  1. Im achtjährigen Gymnasium können die Jugendlichen nicht mehr in diesem profunden Umfang auf ein erfolgreiches Hochschulstudium vorbereitet werden, wie das im neunjährigen Gymnasium der Fall war, da die nötige Zeit zur Übung und Förderung fehlt.
  2. Die Lehrpläne mussten gerade in Mathematik und in den Naturwissenschaften in einem solchen Umfang gekürzt werden, dass der Übergang zum Studienbeginn eine zu große Kluft darstellt, wenn auf einmal im Vordergrund die abstrakte Mathematik steht. Ich selbst unterrichte Latein und Deutsch übrigens.
  3. Nennen Sie mir in allen menschlichen Berufen einen Bereich, wo Quantität die Qualität befördert! Was sagte unser Minister Dr. Spaenle mir gegenüber […]: „Herr D., ich sage Ihnen, wir haben im europäischen Vergleich zu wenig Abiturienten“! Die Schulaufsicht – die MBs – appellieren an die Schulleitungen, die Durchfallerquoten zu senken. In der Q-Phase zählt mdl. zu schriftlich 1 zu 1, also erreichen die meisten die Zulassung zum Abitur, im Abitur selbst haben wir dann in den Abiturfächern D u. M zunächst einmal eine rein schriftliche Note, demzufolge fallen zunächst einmal an die 20 % durch!
  4. […]
  5. Worauf will ich hinaus: Meine jüngeren Kollegen der Naturwissenschaften haben sich nahezu ausschließlich über ihre Leistungskurse definiert und diese Fächer somit studiert!
  6. Wir werden diese Kurse und das G 9 nicht mehr bekommen, aber wir müssen uns irgendeine Form der Differenzierung in der Oberstufe überlegen, wollen wir die allgemeine Hochschulreife in ihrer noch hohen Akzeptanz bewahren.
  7. Letztes Problem: Die Verjüngung! Unsere Jugendlichen besitzen in großer Zahl die intellektuelle Reife für ein Uni-Studium eben noch nicht!
  8. Aber ein vorgeschaltetes Semester gehört an das Gymnasium, nicht an die Universität. Ganz ehrlich: Mir tun die Schülerinnen und Schüler, für die ich als Stellvertreter große Empathie aufbringe und die nahezu täglich zu mir in mein Büro kommen, sehr, sehr oft Leid!
  9. Unsere Lehrkräfte leisten tagtäglich regelrecht Kernerarbeit, geben ihr Bestes, die ihnen anvertrauten Kinder (!) zum Abitur zu führen. Die Schulleitungen überlegen sich schon, wen sie in der Oberstufe einsetzen!
  10. Sie, Herr Dr. Goppel, ein erfahrener Vollblutpolitiker, müssen sich aber auch den Vorwurf gefallen lassen, zu pauschal mit solchen Äußerungen an die Presse gegangen zu sein, obwohl wir doch alle nur zu gut wissen,  wie willkommen in den Printmedien Lehrerschelten sind.

Mit freundlichen Grüßen

D.

 

Sehr geehrter Herr D.,

beginnen darf ich diese Antwort an Sie, die zweigeteilt sein wird, mit Ihrem letzten Punkt Nr. 10:

Sie […] wissen […], wie Pressemeldungen zustande kommen. Die Unterstellung, ich sei mit „solchen Äußerungen an die Presse gegangen“ und das „zu pauschal“, lässt selbst die halbe Wahrheit der Presseberichterstattung weg und wendet damit ein durchaus lesenswertes „Anti-Pamphlet“ zu meiner Äußerung im zuständigen Landtagsausschuss zu Ihren Gunsten. Das ist Ihr gutes Recht, aber seriös ist diese Methode nicht. Jedenfalls nicht seriöser als die meine, die darin bestand, eine im Parlament stattgefundene einseitige Beschimpfung der Universitätsstruktur wegen „zu hoher Studienabbrecher-Quoten in Mathematik und Physik“ in Frage zu stellen. Mehr habe ich in der Parlamentsdebatte nicht getan. Das, was die Presse daraus gemacht hat, ist nicht die Wiedergabe meiner Intention, die darauf hinauslief zu beschreiben, wie sehr und an welchen Stellen sich der Unterrichtsalltag für junge Menschen heute geändert hat.

Alle Ihre Punkte 1-9 kann ich nachvollziehen, finde sie in meinen Äußerungen und meiner Analyse der Situation wieder, die gerne wie Sie einen anderen Schulalltag realisiert sähen als den, den wir heute praktiziert finden.

Das, was ich denke, ist im Schreiben an Ihren Kollegen Schade-Weskott zusammengefasst, das ich Ihnen der Einfachheit halber im Abdruck zur Kenntnisnahme überlasse. Gleiches gilt für seinen vorausgegangenen Brief, der mich wie Sie in die Pflicht nehmen wollte für Äußerungen, die durch die Zusammenstellung und Interpretation von Journalisten gänzlich andere Akzente setzte wie ich es getan hatte. Bei meiner Grundbewertung bleibe ich nämlich: Lehrerbildung heute ist unserer Zeit hinterher. – Nicht überall und in allen Fachbereichen und ganz gewiss nicht in begnadeten Lehrerpersönlichkeiten, die auch die schlechteste Lehrerbildung nicht versaut. Aber es steht fest: In Zeiten, in denen die familiäre Betreuung des Nachwuchses zu dünn ausfällt wie selten zuvor, die schulische Hinführung zu Stoff und Inhalten in einer Weise, die den täglichen Kommunikationsgewohnheiten, die die Jugend hat, nicht mehr oder noch nicht Rechnung trägt, in der am Gymnasium die bis zu zehnfache Schar von Schülern in den (auch wegen des ungeheuren Zuwachses der Gymnasialquote) oft zu großen Klassen sitzt und damit die individuelle Begleitung des schulischen Lernens selbst für begeisterte Pädagogen schon aus Zeitgründen kaum in Frage kommt, können die jungen Damen und Herren nicht in dem Umfang in Fächern wie Mathematik und Physik reüssieren, wie wir beide uns das wünschen.

Um es noch einmal zu sagen: Ein pauschales Urteil gegen Mathematiklehrer von mir hat es nicht gegeben. Die Aufforderung, Lehrerbildung der Klientel am Gymnasium anzupassen und in Mathematik/Physik dafür zu sorgen, dass der Wissenszuwachs im Schulalltag groß genug ist, um anschließend im Studium zu reüssieren, bleibt bestehen. Wir werden uns gemeinsam – Fachwelt und Politik – viel einfallen lassen müssen, wenn wir in den kommenden Jahren weiter konkurrieren wollen mit den nationalen Bildungskonzepten, die die intensive individuelle Befassung mit Stoff und dem Drill der Erkenntnisse nach wie vor für bedeutend halten und das auch umsetzen.

Für Ihre Lagebeschrieb will ich mich ausdrücklich bedanken. Wie gesagt: In den Punkten 1-9 stimme ich mit Ihnen überein und gedenke, Ihre Argumentation auch den Kollegen an die Hand zu geben. Sichtlich zählen Sie zu den Fachlehrern, die wissen, wie man Freude an Inhalten weckt und die Begeisterung, sie aufzunehmen, zu üben und fortzuentwickeln. Und: Sie haben Lust, das auch noch konzeptionell niederzulegen. Etwas, was heute auch nicht mehr selbstverständlich ist.

Mit freundlichem Gruß

Dr. Thomas Goppel, MdL

 

Sehr geehrter Herr Dr. Goppel,

vielen Dank für Ihre klaren Worte zu diesem Thema, die mich doch sehr beruhigen, sicherlich auch die Kolleginnen und die Kollegen der angesprochenen Fächer.

Dass Sie meinen Punkt 10 in dieser Schärfe zurückweisen, kann ich nachvollziehen, möglicherweise hätte ich profunder recherchieren müssen;  unseriös wollte ich nicht erscheinen, gleichwohl waren meine Worte an pointierter Direktheit schon zu provozieren in der Lage.

Noch ein Gedanke zum Schluss: Große Sorge bereitet mir auch die Zunahme der Privatschulen; ferner sind  die Internate in England und in der Schweiz mit deutschen Schülern, auch aus Bayern, gut gefüllt – soll heißen, eine gute (?) Bildung kann, was niemand von uns will, wieder von den pekuniären Möglichkeiten der Eltern abhängen.

Da ich gerade erfahren habe, dass Sie Ihren Wahlkreis abgeben, offensichtlich nicht wieder kandidieren?, möchte ich Ihnen für Ihren weiteren Lebensweg alles Gute wünschen.

Der Name Goppel war mir schon als politisch interessierter Schüler ein Begriff!

Mit freundlichen Grüßen

D.

 

Sehr geehrter Herr D.,

herzlichen Dank für Ihre Rückmeldung und deren Tenor, der mir freundlich signalisiert, dass wir uns in Sichtweite zueinander aufhalten.

Ihren neuen Gedanken, der das Privatschul-Aufleben sichtet, kann ich nur unterschreiben. Und noch einmal wiederhole ich: In einer Zeit, in der Eltern Erziehung zu Hause mehr und mehr verweigern, kann es in der Schule nicht bei Unterweisern bleiben. Lehrer müssen, ob sie wollen oder nicht, auch als Erzieher fungieren und darauf sind sie – Pardon! Insbesondere die Kollegen im Gymnasium – nicht genügend vorbereitet. Das sind ja noch nicht einmal wir in der Volksschule.

Mir ist bewusst, dass sich Eltern von der Verpflichtung, sich um die Ensozialisierung ihrer Kinder zu kümmern, zum Teil einfach freikaufen. Aber auch das kann nicht einer der Maßstäbe des Schulalltages werden oder sein…

Noch ein letztes Wort zu einem anderen Thema, das Sie angeschnitten haben:

Nein! Meinen Stimmkreis (so heißt das Ding auf Landesebene) habe ich abgegeben, nicht aber die Kandidatur im Wahlkreis Oberbayern. Dort trete ich auf der Liste der CSU noch einmal an, um drei Themen eine besondere Adresse zu verschaffen:

  • Dem Musikrat,
  • dem Denkmalrat und
  • der Grundsatzfrage nach mehr Erziehung in der Gesellschaft!

Ob mir das gelingt (erst gewählt zu werden und dann: diese Aufgaben zu erledigen) steht vorläufig noch in den Sternen.

Ihnen alle guten Wünsche für den täglich komplizierter werdenden Schulalltag und herzlichen Dank für einen angenehmen Dialog, den ich mit Ihnen gerne auch – face to face – fortsetzen würde und werde.

Herzlich

Ihr Dr. Thomas Goppel, MdL

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