alpha-Forum: Im Gespräch mit Dr. Susanne Zimmer

30.04.2012 in Interviews. Kommentare deaktiviert für alpha-Forum: Im Gespräch mit Dr. Susanne Zimmer.

Zimmer: Ich begrüße Sie zum alpha-Forum, meine Damen und Herren, zu Gast ist heute Dr. Thomas Goppel, Staatsminister a. D., CSU-Landtagsabgeordneter, Präsident des Bayerischen Musikrats, Rundfunkrat und und und und, kurz: ein Mann mit vielen Aufgaben. Herzlich willkommen, Herr Dr. Goppel.

Goppel: Grüß Gott.

Zimmer: Der Name Goppel hat ja in Bayern einen ganz besonderen Klang. Wie haben Sie das damals erlebt als junger Mensch, der Sohn von „Papa

Goppel“ zu sein? Ist das eine Verpflichtung gewesen für Sie? War das manchmal auch eine Last?

Goppel: Ich glaube, heute ist so etwas schwieriger, wenn ich mitbekomme, wie es den Kindern geht, weil einem viel mehr Leute auf die Pelle rücken. Das war

damals zwar nicht selbstverständlich, dass man in so einer Familie groß geworden ist, aber man ist fast nicht beachtet worden. Das habe ich doch als sehr schön empfunden. Vielleicht lag das aber auch an den Eltern, die darauf geachtet haben, dass ihre Aufgabe, nämlich die politische, nichts mit der Familie zu tun hat und die uns deshalb rausgehalten haben. Heute werden die Kinder ja sehr oft bereits von Anfang mit einbezogen. Das ist sicher ein großer Unterschied. Aber wir waren damals, von wenigen Ausnahmen abgesehen, davon unbehelligt. Unser Problem war damals der Protonenbeschleuniger im Ebersberger Forst: Als wir – mein kleinerer Bruder und ich – dann plötzlich von der Polizei in die Schule gebracht wurden, war das natürlich schon faszinierend für uns, d. h. da hat man schon so ein paar Eindrücke mitgenommen. Aber ansonsten waren wir draußen – und das, was der Vater gemacht hat, hat vor allem auch die Mutter relativ stark von uns abgeschirmt. Das war einfach nicht unser Geschäft. Gut, manchmal waren Lehrer ekelhaft, auch daran erinnere ich mich. Aber mit denen, die damals ekelhaft waren, bin ich heute gut Freund.

Zimmer: Ich kann mir aber vorstellen, dass das doch eine prägende Erfahrung gewesen ist.

Goppel: Ja, eindeutig.

Zimmer: Es war sicherlich auch eine prägende Erfahrung, der Vierte von fünf

Söhnen einer Familie zu sein.

Goppel: Ich war Fünfter von sechs Söhnen, denn da gab es noch einen, der bereits ganz früh ums Leben gekommen ist. Für meine Mutter war es immer ganz entscheidend wichtig, dass sie eigentlich sechs Söhne gehabt hat. Sie hätte vermutlich gar nicht so viele Söhne bekommen, wenn nicht der vierte Sohn im Krieg von uns gegangen wäre: Er starb aufgrund des Mangels an Penicillin und sein Tod war für die Familie ein schwerer Schlag. Aber irgendwie ging es dann auch weiter und es ging wieder ganz normal aufwärts mit uns. Unsere Familie zu Hause war schon eine sehr intensive Gemeinschaft. Ich kann mich gut daran erinnern, dass wir in den ersten Jahren meines Lebens jeden Sonntag mit den Eltern zum Wandern in den Spessart gegangen sind. Denn wir kamen ja aus Aschaffenburg.

Zimmer: Alfons Goppel war ja der Landesvater par excellence. War er das im richtigen Leben auch, ein Vater mit dieser gütigen Ausstrahlung? Oder war

er ein strenger Vater?

Goppel: Nein. Er war vor allem auch viel zu wenig da, um streng zu sein. Er hat ab und zu mal dafür gesorgt, dass die Koordinaten wieder gerade gerückt worden sind, das schon. An die drei Ohrfeigen, die ich von ihm bekommen habe, kann ich mich jedenfalls bis heute gut erinnern und an die gelegentlichen ordentlichen, und nicht nur liebevollen Klapse der Mutter auch. Bei beiden bin ich der Meinung, das war zu wenig. Aber die der Mutter habe ich eher nicht gezählt, während die vom Vater schon besondere Einschnitte waren. Ich glaube, sie haben ihm selbst mehr wehgetan als mir. Insoweit stimmt also Ihre Vermutung: Er war so ein Vater, wie Sie ihn als Landesvater gesehen haben.

Zimmer: Das Politikerleben Ihres Vaters hat Sie aber nicht davon abgehalten, selbst in die Politik zu gehen. War Ihr Vater dabei sogar ein Stück weit ein Vorbild für Sie?

Goppel: Nicht nur ein Stück weit, denn ich kann heute doch ganz klar sagen: Alles, was ich in der Politik für wichtig und gut gehalten habe, orientierte und orientiert sich in erster Linie an meinen Eltern – d. h. nicht nur an meinem Vater, sondern auch an der Mutter. Meine Mutter hat die strenge Güte mit eingebracht, die vielleicht auch ihrer eigenen Mentalität zuzuschreiben war. Sie kam ja aus Niedersachsen und war insoweit eine der Ersten, die die Mischung der Bayern so ein Stück mit beeinflusst hat. Der Vater hat damals immer gesagt: „Das beste Mittel gegen Norddeutsche ist, sie aufzuheiraten!“ Und er hat das ja auch so gemacht. Inzwischen gibt es ja mehr, die „aufgeheiratet“ worden sind, als solche, die von hier sind. Von daher war jedenfalls die Mutter ein Stück prägend, weil sie natürlich die ganze Erziehungslast hatte. Der Vater hat immer wieder dirigierend eingegriffen. Ich kann mich gut erinnern, wie es meinen drei älteren Brüdern ergangen ist, als ich damals noch ganz klein gewesen bin. Wenn sie das eine oder andere Mal einen Verweis oder eine schulische Ermahnung bekommen haben, dann kam der Oberstudiendirektor am Sonntagnachmittag – weil dann der Alfons Goppel garantiert anwesend war – zu uns nach Hause und hat zu ihm gesagt: „Alfons, geh mal mit mir auf die Seite, ich muss dir mal was geben, was die Gertrud nicht zu sehen braucht.“ Das war so eine gewisse Abmachung zwischen den beiden.

Zimmer: Wenn man einen politisch so aktiven Vater hat, dann bedeutet das natürlich auch Verzicht auf ein Stück Privatheit, Freiheit.

Goppel: Dadurch, dass die Mutter so viel erzählt hat und gleichzeitig immer darauf geachtet hat, dass wir sozusagen „abseitiger Bestandteil“ waren, hat sie uns die Aufgabe als Zuschauer so sehr leicht gemacht. Ich glaube, das war das Schöne an dieser Zeit: Wir haben alles mitbekommen und trotzdem nicht viel davon wirklich selbst erlebt. Wir haben also immer gewusst, wie es den Eltern geht und was sie so miteinander machen. Wir haben erlebt – und das ist ziemlich sicher der Grund, warum ich selbst dann auch in die Politik gegangen bin –, dass unsere Eltern, wenn sie morgens aus dem Haus gegangen sind, quasi drei Zentimeter größer wurden. Sie haben sich gestrafft, haben sich geradegebogen für all die, die ihnen begegneten. Das blieb so, bis sie abends um zehn, zwölf oder gar erst um eins nach Hause gekommen sind. In dem Moment, in dem die Haustür ins Schloss fiel und auch der Fahrer dann weg war, wurden sie wieder drei Zentimeter kleiner. Gut, es können auch fünf Zentimeter gewesen sein. Man hat jedenfalls gesehen, dass sie sich jetzt fallen lassen, weil sie wirklich zu Hause waren. Für alle anderen den ganzen Tag über wirklich da zu sein, präsent zu sein und sich Zeit zu nehmen, war das überzeugendste Beispiel, das sie gegeben haben.

Zimmer: Es hat Sie also deren Haltung beeindruckt.

Goppel: Ja.

Zimmer: Auch im Leben Ihres Vaters gab es natürlich politische Niederlagen. Haben Sie diese mitbekommen und haben Sie dabei mitgelitten? Waren Sie da mit einbezogen?

Goppel: Die älteren Brüder stärker als ich und mein kleinerer Bruder, denn wir waren ja noch recht klein, als es damals diese Niederlagen gegeben hat. Als wir

dann größer wurden, gab es ja eigentlich nur mehr Erfolge. Aber die drei schweren Niederlagen – zwei Mal die Niederlage bei der Wahl um das Amt des Oberbürgermeisters von Aschaffenburg und einmal bei der gleichen Wahl in Würzburg – waren für die ganze Familie doch sehr prägend. Eigentlich hat niemand von uns damit gerechnet, dass es dann plötzlich in München ganz anders und vor allem so erfolgreich laufen würde. Mein Vater war ja der erste Kandidat der CSU, der bei der Wahl zum Oberbürgermeister in Würzburg durchgefallen ist. Nach ihm gab es noch vier weitere CSU-Kandidaten, die es nicht geschafft haben, dieses Oberbürgermeisteramt für die CSU zu holen. Als er ins Kabinett nach München berufen worden ist, war das dann schon Teil einer Erfolgsgeschichte. Aber er hat nicht vergessen, woher er gekommen ist, und er hat es auch besonders gut hinbekommen, uns seine Not mit seinen Niederlagen nicht miterleben zu lassen. Er ist einfach am nächsten Tag wieder aufgestanden. Das Hinfallen ist kein Problem, wenn man wieder aufsteht – das war Bestandteil seines Lebens.

Zimmer: Damit wären wir wieder beim Thema „Haltung“.

Goppel: Ja, genau so war er.

Zimmer: Zurück zu Ihren ganz persönlichen Anfängen. Sie hatten ja ursprünglich ganz andere Pläne, wollten Lehrer werden und wurden zunächst auch Lehrer.

Goppel: So ist es. Und dann haben beide Eltern zu mir gesagt: „Und wenn du jetzt noch etwas anderes studieren willst, dann mach es!“ Ich habe ihnen geantwortet: „Nein, ich will jetzt Geld verdienen und ich will heiraten!“ Die Frau dafür hatte ich nämlich schon. Unser Plan sah damals so aus, damit zuerst einmal anzufangen: Wir hatten uns nämlich fest vorgenommen, dass wir, wenn wir eines Tages Kinder bekommen sollten – wir haben dann aber leider keine Kinder bekommen –, in den Bayerischen Wald zu gehen, um dort unsere Kinder zu erziehen. Denn dort im Bayerischen Wald hätten wir uns das noch irgendwie leisten können. Die Volksschullehrer verdienten damals nämlich nicht ganz so gut. Neben dem Wunsch, Lehrer zu werden, hatte ich auch mal den Wunsch gehabt, in den Journalismus zu gehen. Davor, ganz früh, wollte ich sogar mal in den theologischen Beruf gehen. Das heißt, ich hab fast alles schon einmal erwogen und mir vorgestellt. Aber das ging alles nicht. In der Politik jedoch hatte ich plötzlich Glück. Das war wirklich ein Glück, wie ich ausdrücklich sagen muss. Es war so, dass ich 1972 für den Winfried Zehetmeier bei der Oberbürgermeisterwahl in München den Wahlkampf mitverantworten durfte. Dies hat dann dazu geführt, dass fünf Stadträte hinterher gesagt haben: „Du könntest eigentlich für den Landtag kandidieren!“ Die Münchner CSU hat mich dann aber nicht aufgestellt, sondern gesagt, ich würde ihnen nur im Weg umgehen und womöglich sogar gefährlich werden. Dafür haben mich dann aber die Oberbayern, die eine Mehrheit von fünf oder sechs Stimmen hatten, unterstützt und so bin ich dann 1974 über die Liste in den Landtag gekommen.

Zimmer: Das politische Engagement war also im Grunde genommen bereits angelegt in Ihnen.

Goppel: Wahrscheinlich schon, aber meine vier Brüder haben das nicht gemacht und nicht gewollt. Deswegen war das dann eben doch nicht so selbstverständlich.

Zimmer: Sie haben ja auch ein paar Jahre lang als Lehrer gearbeitet.

Goppel: Ja, viereinhalb Jahre lang.

Zimmer: Hat das Ihre politische Arbeit, hat das Ihren Einstieg in die Politik vielleicht sogar erleichtert?

Goppel: Nein. Ich wäre aber auch zwischendurch gerne wieder für eine Zeit in diesen Beruf zurückgekehrt. Ich habe mir damals eigentlich fest vorgenommen, nicht für ewige Zeiten im Landtag zu bleiben. Nun sind es aber doch fast 40 Jahre geworden. Das hat wohl mit dieser deutschen Mentalität zu tun: Wer einmal da ist, darf nicht mehr gehen. In England geht das meiner Ansicht nach besser. In anderen Ländern habe ich das allerdings nicht näher beobachtet. Von den Österreichern weiß ich allerdings auch, dass man nach zehn, 20 Jahren mal wieder für einige Zeit in den eigentlich erlernten Beruf zurückgehen kann. Das hätte ich eigentlich schon ganz gerne gemacht – alleine schon um zu sehen, was sich alles geändert hat. Denn damals hatte ich ja 54 Kinder in der Klasse gehabt. Das sich heute vorzustellen, ist aberwitzig. Damals gab es einfach völlig andere Familienverhältnisse. Heute kommen Kinder sehr oft als Einzelkinder in die Schule, sehr häufig auch als Kinder von Alleinerziehenden, weil die Eltern sich getrennt haben. Das war damals, als ich Lehrer war, nicht an der Tagesordnung, sondern viele Kinder in der Klasse hatten viele Geschwister. Aus diesem Grund war damals auch eine andere Form der Erziehung möglich, als das heute der Fall ist.

Zimmer: Diesen Umstieg von der Schule ins Maximilianeum stelle ich mir doch als recht schwierig vor.

Goppel: In beiden Fällen liegt das Problem darin, dass es welche gibt, die nicht so leicht zu disziplinieren sind: Das ist bei den Parlamentariern genauso wie bei den Kindern.

Zimmer: War das das größte Problem?

Goppel: Nein, das war nicht das größte Problem. Aber ich dachte, Sie suchen nach einer Gemeinsamkeit, und das war eben eine.

Zimmer: Wie wurden Sie denn dort aufgenommen als Sohn von Alfons Goppel?

Goppel: Das war eine pfiffige Zeit in diesen ersten vier Jahren. Die Kollegen konnten mit mir nicht allzu viel anfangen: Ich war ja der Erste, der sozusagen in der Doppelgeneration da war, und kam zunächst in den kulturpolitischen Ausschuss. Die erste Sitzung hatte noch gar nicht richtig angefangen, als irgendetwas zu fragen war. Ich habe diese Frage – ich wusste nicht, dass sie sich an den Ministerpräsidenten richtete, der damals ja mein Vater gewesen ist – also an die Staatskanzlei gerichtet. Dies wiederum hatte sofort die Zusatzfrage der SPD zur Folge: „Herr Ministerpräsident, können Sie Ihren Sohn nicht veranlassen, Sie zu Hause zu fragen statt hier im Parlament?“ Da hat es natürlich gleich mal ein erstes großes Gelächter gegeben. Das war der Abgeordnete Koch, der inzwischen leider schon verstorben und, wie ich für ihn hoffe, im Himmel ist. Nach dem Schluss der Fragestunde bin ich dann ans Mikrophon gegangen und habe gesagt: „Herr Präsident, es gibt ja dieses alte Sprichwort, dass viele Köche den Brei verderben. Ich freue mich, dass dieses Parlament nur einen Koch hat!“ Daraufhin gab es dann aber nicht nur Gelächter, sondern auch Rufe wie: „Unverschämtheit!“ Das Spielen mit den Worten hatte ich einfach im Schuldienst gelernt und das habe ich dann auch dort angewandt.

Zimmer: War es denn schwer, aus dem Schatten Ihres Vaters zu treten?

Goppel: Ich weiß es nicht, denn er war dann ja nach diesen ersten vier Jahren nicht mehr im Parlament. Insoweit war ich vielleicht in meinen ersten Jahren im Landtag eher unbemerkt mit dabei. Ich war der Jüngste und er war der Älteste im Parlament und in der Fraktion. Nach diesen vier Jahren ging es dann relativ flott und ohne Schwierigkeit direkt in den eigenen Beritt. Ich war allerdings auch 12 Jahre lang ganz normal im Ausschuss und hatte mir dann doch überlegt: „Wenn das in der vieren Legislaturperiode auch so bleibt“ – das war dann die Legislaturperiode von 1986 an – „, ist es vielleicht doch besser, wieder in den Schuldienst zurückzukehren und im eigenen Bereich weiterzumachen.“ Darüber habe ich auch mit meiner Frau gesprochen. Denn es ist einfach so, dass es durchaus eintönig wird, wenn man im Parlament immer an der gleichen Stelle arbeitet, wenn man immer wieder dieselben Gesetze bearbeitet, immer wieder dieselben Bedingungen vorfindet. Und es ist ja so, dass man auch dabei einen auf die Mütze bekommt: Man bekommt da nicht nur von der Opposition einen auf die Mütze, weil sie anderer Meinung ist, sondern man bekommt auch innerhalb der Fraktion einen auf die Mütze. Es gab da eine Reihe von Diskussionen, bei denen ich unterlag. Ich kann mich z. B. noch gut an die Auseinandersetzung um die Einführung des Fachs „Englisch“ in der Hauptschule erinnern. Da hat uns der Hans Maier ganz schön „absaufen“ lassen: Es war so ausgemacht gewesen – und auf einmal ging das dann doch nicht. Es war also so, dass eine ganze Reihe von Entscheidungen durchaus schwierig gewesen ist. Dabei ging es nicht um die Profilierung des Abgeordneten Thomas mit dem Nachnamen Goppel, sondern um die des jungen Abgeordneten, der genau dieselben Stolpersteine vorgefunden hat wie andere junge Abgeordnete auch.

Zimmer: Wurden denn politische Diskussionen auch ins Private, in die Familie hinein getragen? Oder konnten Sie da einen klaren Schnitt machen?

Goppel: Das ging bei uns immer und dafür bin ich auch sehr dankbar, denn das ist nicht selbstverständlich. Ich bin mir nämlich sicher, dass es da eine ganze Menge Familien gibt, die auch untereinander „hakeln“. Wir haben zu Hause mit dem Vater gestritten, das stimmt, weil er uns manchmal zu gütig gewesen ist. Auch im Parlament habe ich das gelegentlich mitbekommen, sodass ich am Abend z. B. zu ihm gesagt habe: „Sag mal, das mit der Gebietsreform müsst ihr eigentlich anders machen! Da geht ihr einfach zu weit, das ist zu anstrengend …!“ Mein Vater hat mir dann geantwortet: „Du musst erst mal so lange wie ich hier dabei sein.“ Und dann kam noch die Erklärung, dass ein paar der Mitarbeiter in der Staatsregierung sehr viel sturer sind, als man sich das von außen betrachtet vorstellen kann. Jeder, der Insider ist, weiß jetzt natürlich sofort, wen ich damit meine. Das heißt, wir haben schon auch immer wieder debattiert miteinander, aber das ging immer gut aus. Es gab nur eine einzige Ausnahme im Jahr 1986, als Franz Josef Strauß mich ins Kabinett geholt hat. Damit hatte mein Vater allerdings noch weniger gerechnet als ich. Strauß fragte mich, ob ich nicht auch ins Wissenschaftsministerium gehen möchte, weil ich doch gemeint hatte, dass ich als Lehrer eigentlich gerne etwas mit Schule zu tun haben würde. Ich habe fast das Gefühl, die CSU hat immer so ein wenig darauf geachtet, dass ich genau dort nicht hinkomme, weil ich dort dann besonders intensiv tätig geworden wäre. Gut, es war nun einmal so. Als ich jedenfalls nach Hause gekommen bin und meinem Vater erzählt habe, dass ich Staatssekretär werde, hat er sofort gemeint: „Das gibt es nicht!“ Ich fragte ihn: „Entschuldige, warum soll ich dich anflunkern?“ Daraufhin hat er gar nichts mehr gesagt und wir haben dann eigentlich längere Zeit nicht mehr miteinander politisiert, bis mir einer meiner Brüder erklärt hat, warum er so reagiert hatte: Wahrscheinlich tat er sich schwer mit der Feststellung, dass plötzlich einer in dem Gremium sitzt, dem er so lange präsidiert hat, nämlich 16 Jahre lang. Als ich ihn dann damit konfrontiert habe, hat er mich mit einem abwertenden Begriff belegt, den ich hier aber nicht wiederholen möchte, weil er eigentlich gar nicht in seinen normalen Wortschatz passte. Und von da an war alles wieder in Ordnung. Das war wirklich ein Volltreffer: Er hat halt dabei einfach diese Spannung durchlebt und mitgemacht, die es in anderen Familien auch gibt, wenn der Sohn im Unternehmen dem Vater folgt oder wenn er im gleichen Beruf Erfolg hat. Einen größeren Erfolg als mein Vater konnte ich freilich nicht haben, weswegen das bei uns also nie das Problem gewesen ist. Auch im Hinblick darauf, wie gut er in der Bevölkerung angesehen war, konnte man ihn unmöglich einholen oder gar übertrumpfen. Aber es war einfach so: Er war betroffen davon, dass ich ihm da doch nachfolgte in der Regierung.

Zimmer: Ihre politische Karriere ist dann ja steil bergauf gegangen: Sie waren Staatsminister im Wissenschaftsministerium, dann Europaminister und Umweltminister. Das waren ja immer Ämter mit sehr viel Verantwortung: Wie blicken Sie denn heute auf diese Zeit zurück?

Goppel: Jedes dieser Ämter hat mir für sich genommen ungeheuren Spaß gemacht. Das war sozusagen der zweite Ansatz, den ich aus dem Elternhaus mitgebracht habe: Das war erstens diese Haltung gegenüber jedem, der einem gegenübertritt. Und zweitens die Haltung gegenüber der Sache, die man anvertraut bekommt. Es ging also immer wieder um die Haltung. Ich habe jede dieser Aufgaben gerne gemacht und ich habe versucht, sie vom ersten Tag bis zum letzten Tag zu 100 Prozent zu erledigen. Das bedeutet aber, dass man dann, wenn man umsteigt, auch aussteigt. Ich habe inzwischen gelernt, dass es im Leben ganz wichtig ist, einen Strich, einen Schnitt zu machen, wenn etwas vorbei ist, weil es klug ist, sich um das Alte nicht mehr zu kümmern, wenn man etwas Neues anfängt. Denn erstens ginge man ansonsten den anderen ganz eindeutig im Weg um. Zweitens ist es so, dass man, wenn man dem Alten nachhängt, viel Zeit ungenutzt vertut. Sich dem Neuen zu widmen, bedeutet jedes Mal, Lücken zu entdecken, die die Vorgänger hinterlassen haben. Das gibt es überall, aber das ist da ganz besonders stark. Ich habe eigentlich immer gemerkt: Es war gut, dass es da einen Wechsel gegeben hat! Wenn mich heute jemand fragt, dann sage ich unumwunden: Es ist gut, wenn man nicht zu lange im selben Amt, in derselben Position bleibt. Es gibt nur wenige, bei denen das sicherlich segensreich ist. Wichtig ist also, dass man immer wieder wechselt und selbst immer wieder ein Lernender ist, weil man sonst den anderen auch nicht voranschreiten kann.

Zimmer: Sie haben ja verschiedene Regierungschefs erlebt und mit ganz unterschiedlichen Charakteren gearbeitet. Welcher war Ihnen denn am nächsten?

Goppel: Nun, diese Frage ist sofort zu beantworten: mein Vater, ihn habe ich aber in dieser Position nicht erlebt. Die früheren Kabinettsmitglieder haben mir nämlich erzählt, wie mein Vater als Regierungschef gewesen ist. Ich meine damit die früheren Minister wie Toni Jaumann, Franz Neubauer, Ludwig Huber, Konrad Pöhner oder Otto Schedl, den ich allerdings nicht ganz so gut gekannt habe. Sie saßen alle zusammen mit meinem Vater im Kabinett und sie haben alle einmütig erzählt, das Tolle an ihm sei gewesen, dass er ihnen nicht in ihr Geschäft hineingeredet hat. Er hat ausdrücklich nur die Richtlinien bestimmt und dann gelegentlich angemahnt, wenn sie nicht eingehalten wurden. Oder er hat mit ihnen darüber gesprochen, ob und wie man sie ändern müsse. Aber ansonsten hat er ihnen nie ins Geschäft hineingeredet. So einen Chef habe ich nachher nicht mehr erlebt, denn das Hineinreden gehörte zur Tagesordnung. Deswegen würde ich mir schon erlauben zu sagen: Das wäre mir doch am nächsten gekommen, einen Aufgabenbereich zu haben und ihn gegenüber der Öffentlichkeit, aber auch gegenüber dem Ministerpräsidenten zu verantworten. Denn im anderen Fall ging das schon eher in Richtung Abteilungsleitertätigkeit – in welcher Intensität auch immer. Ich war im Wissenschaftsministerium am Ende wirklich gut bedient – auch in der Parallelität gegenüber den Kollegen. Ich war auch im Umweltministerium mit großer Begeisterung dabei, weil ich den Landwirtschaftsminister als Freund entdeckt habe. Und ich glaube, es ist uns auch gelungen, dass von da an Landwirtschaft und Umweltpolitik ein Stückchen versöhnlicher miteinander umgegangen sind als in den ersten Jahren, die doch sehr, sehr konfliktreich waren. Wir haben damals z. B. auch dem Naturschutz ein Stück weit seinen Schrecken genommen, dass er an jeder Stelle die anderen behindern könnte. Ich war mit Weinzierl und anderen oben auf den Bergen und wir haben uns gemeinsam die Wege angeschaut, auf denen im nächsten Herbst die Rinder ins Tal getrieben werden können. Denn da hatte es zunächst von keiner Seite die Bereitschaft gegeben, nachzugeben. Wir haben also die Wege bzw. die nicht vorhandenen Wege getestet und gemeinsam festgehalten, was nun notwendigerweise getan werden muss. Dieses direkte Umsetzen gelingt eigentlich nur, wenn man unvoreingenommen ankommt, die Dinge sichtet und dann sagt: „Da sind die Schwerpunkte richtig gesetzt!“ Ich habe also meinen Auftrag immer als zeitlich begrenzt gesehen und alle fünf Jahre etwas anderes gemacht. Wenn ich heute Bilanz ziehe, dann sage ich: Das wird in der nächsten Generation ganz normal sein. Die Menschen müssen sich heute darauf einstellen, dass sie im Laufe ihres Berufslebens aufgrund des Tempos der Wissensentwicklung und der Kenntnisfülle drei, vier, fünf Mal einen Aufgabenwechsel werden durchmachen müssen. Das wird ganz sicher etwas ganz Selbstverständliches sein in Zukunft und niemand mehr wird das anders halten können. Zu meiner Zeit war es ja am Anfang noch so, dass man zuerst studiert hat, um dann anschließend 40 Jahre lang im Berufsleben davon zu zehren. Davon sind wir heute weit weg, das gibt es heute nicht mehr.

Zimmer: Sie haben ja bereits einige Konfliktfelder angesprochen, die Sie „beackern“ mussten.

Goppel: Durften! Es war immer ein Dürfen.

Zimmer: Sind Sie denn ein Mensch …

Goppel: Sie müssen sich das einfach nur vorstellen: Da sitzen 120 Leute in der Fraktion und jeder von denen möchte gerne Staatssekretär oder Minister werden. Und wenn man dann dieses Glück hat, dann ist das ganz klar ein Dürfen.

Zimmer: Sind Sie eigentlich ein diplomatischer Mensch? Oder fordert Widerstand doch eher Ihre Kampfeslust heraus?

Goppel: Das ist bei mir eine Mischung aus dem Erbe von Vater und Mutter. Derjenige, der bei uns als Diplomat unterwegs war, hieß Alfons Goppel. Diejenige, die durchaus bei aller Diplomatie – denn darin war sie wirklich Weltmeisterin, allerdings nur dort, wo sie wollte – dem Konflikt nicht aus dem Weg gegangen ist, war meine Mutter. Ich selbst mag dem Konflikt auch nicht aus dem Weg gehen. Als ich Generalsekretär der CSU war, war ich wieder einmal im Fernsehen zu einer Diskussion eingeladen. Als die Tür aufging und ich eintrat, saß da bereits Franz Müntefering, der bei meinem Anblick nur stöhnte: „Nicht der schon wieder!“ Da habe ich gleich gewusst, was los ist.

Zimmer: Wir haben vorhin von den Veränderungen gesprochen: Wie hat sich denn das Politik-Machen verändert? Die Menschen gehen heute auf die Politiker doch anders zu als vor zehn, 20 Jahren.

Goppel: Die Menschen sind sehr viel reservierter geworden gegenüber dem, was sie von Politikern erwarten und was sie mit ihnen zusammen bewegen können. Ich glaube, das liegt ganz stark an diesem Jahr 1993, als dieser großer Bruch entstanden ist. Man kann auch 1990 dazu nehmen, aber ich meine jedenfalls die Tatsache, dass wir plötzlich ein gemeinschaftliches Deutschland geworden sind und dass dadurch die Aufgaben völlig verändert wurden. Wir wurden damals quasi im vollen Lauf gestoppt, weil damals eine Truppe dazugekommen ist, die sehr viel langsamer unterwegs war, aber gleichzeitig die Luft hatte, um möglichst viel aufzuholen. Es ist doch eine ganz ungewöhnliche Ergänzung einer Mannschaft, dass man jemanden findet, der sagt: „Ich möchte euer Tempo, aber ich möchte das zu euren Konditionen!“ Und das Ganze wurde auch noch für denselben Tag gefordert. Das macht es schwer, das gab es sonst nie und das gab es auch in ganz Europa nicht. Das ist die eine Seite und die andere Seite ist, dass uns Politikern inzwischen die Menschen sehr viel mehr auf die Finger gucken können. Wir den Menschen zwar auch, aber vor allem uns die Menschen. Damit meine ich das Stichwort Internet und den PC. Was da 1993 geöffnet worden ist, hat sich als von immenser Bedeutung herausgestellt. Im Internet kann man jeden Tag über jeden alles nachlesen. Die menschliche Eigenschaft, die in Deutschland besonders ausgeprägt zu sein scheint, nachzugucken, wo der andere noch nicht genau nach dem Muster tickt, das man selbst im Kopf hat, schürt zusammen mit all dem anderen das Misstrauen. Oft ist dieses Misstrauen wirklich unerträglich. Professor Weidenfeld hat das – und er hat völlig recht damit – jüngst beim Landeskomitee folgendermaßen ausgedrückt: Die Eigenschaft der Deutschen, misstrauisch zu sein, ist in diesen Jahren so ausgeprägt wie nie. Das ist aber schade, weil wir miteinander viel mehr bewegen könnten, wenn das Misstrauen auf die Dinge begrenzt werden würde, bei denen es wirklich angebracht ist. Es gibt ein paar Sachdiskussionen, bei denen Misstrauen besser ist als absolutes Vertrauen. Dieser Meinung bin ich durchaus auch. Bei der Gentechnik z. B. können wir sehr wohl so diskutieren. Aber dieses Misstrauen generell auf die Menschen zu übertragen, ist falsch.

Zimmer: Können Sie denn als Politiker daran etwas ändern? Gehen Sie in einer anderen Art auf die Menschen zu?

Goppel: Ich gebe mir Mühe, aber ich weiß das nicht. Das müssen die Leute beurteilen, das kann man selbst nicht beurteilen. Man kann nur anbieten, dass man da ist und dass man sich Zeit nimmt. Sprechstunden zu halten und für alle da zu sein, war für mich immer eine ganz wichtige Grundlage. Und wenn einer klingelt, dann mache ich die Tür auf. Oder wenn im PC jemand fragt, dann versuche ich ihm, wenn es auch nur irgendwie geht, noch in derselben Nacht zu antworten. Das gelingt natürlich nicht immer, das ist ganz klar. Manchmal verliere ich am Computer auch etwas, wie z. B. einmal 250 Mails an einem Tag: Die waren auf einmal weg, spurlos verschwunden. Natürlich ist auch viel Quatsch bei diesen Mails an mich dabei, das ist gar keine Frage. Ich sende allerdings auch selbst ab und zu Quatsch, d. h. es ist nicht so, dass das nur die anderen machen würden. Aber vom Ansatz war es mir immer am wichtigsten, Zeit für die Menschen zu haben. Der andere oder die andere müssen das Gefühl haben, dass man ihn oder sie bei der Hand nimmt. Und jemanden bei der Hand nehmen, heißt ja, den Druck, den der oder die andere auslöst, bei sich umzusetzen in eine entsprechende Handlung, also Actio und Reactio zusammenzufassen und beides zusammen zu einer neuen Handlungsform werden zu lassen. Das ist das, was ich nach wie vor gerne möchte und was mir auch bis zum letzten Tag interessant erscheinen wird. Damit wäre ich erneut bei meinem alten Herrn: Denn genau so war er!

Zimmer: Hat man denn dazu als Abgeordneter – und damit nicht mehr in ministerieller Verantwortung stehend – mehr Chancen, mehr Möglichkeiten? Fühlen Sie sich näher an der Basis wohl?

Goppel: Ich fühle mich da wohl. Aber die Chancen sind doch geringer. Denn da gibt es etwas, das wohl wirklich jeder von uns für seinen Lebensalltag lernen muss: Wenn wir auf dem Weg nach oben sind, werden wir dabei von mehr und mehr Leuten beobachtet und begleitet. Und es sind immer mehr dabei, die auf einmal sagen: „Ich möchte ganz nah da sein.“ Man wird dann also vereinnahmt, gehoben usw. Einer, der das ganz besonders schlimm erlebt hat, ist der Karl-Theodor zu Guttenberg. Den haben alle hochgehoben. Aber dann, wenn man hochgehoben ist, kommt plötzlich eine Gelegenheit, bei der die anderen auf einmal die Hände wegziehen: Das tut dann weh …

Zimmer: … und man fällt tief.

Goppel: Das ist etwas, was man wissen muss: Wenn man hochgehoben wird, muss man aufpassen, dass man die Bodenhaftung nicht verliert. Denn ansonsten kommt unweigerlich der Zeitpunkt, zu dem einem ein anderer – mit welcher Begründung auch immer – sagt: „So, das war’s jetzt!“ Wenn das kommt, dann wenden sich auch gleich eine Menge anderer mit ab. Die Frage ist dann, ob man es schafft, die Lücke, die dabei entsteht, zu schließen. Das bedeutet, man muss auf einmal den Leuten nachlaufen: vermutlich nicht denselben, sondern wahrscheinlich anderen. Da verändern sich dann auch die Gesellschaften, die drum herum sind. Ich werde zu meinem nächsten Geburtstag, so wie in den letzten Jahren auch, wieder ein paar Leute einladen. Aber das werden nur zu einem Drittel die Gleichen sein und zu zwei Dritteln andere. Diese anderen habe ich aus den neuen Aufgaben gewonnen, aus neuen Begegnungen gewonnen und auch aus neuer Zeit gewonnen, in der man mit anderen zusammen kombiniert unterwegs ist. Die Veränderung vom 60. zum 65. ist stärker gewesen als die vom 50. zum 60. Geburtstag. Denn in den zehn Jahren vom 50. zum 60. Lebensjahr war die Mannschaft immer noch am Anheben und Festhalten. Und nun kommt die Zeit, in der man sagt: „Das muss nicht mehr sein!“ Ich sage daher immer: Wer nach dem 60. Geburtstag einen anderen zum Geburtstag besucht, gibt ihm die Garantie, dass er für ihn da ist – hoffe ich jedenfalls.

Zimmer: Lassen Sie uns mal auf eine ganz besondere Phase Ihrer Arbeit zurückblicken, nämlich auf Ihre Arbeit als CSU-Generalsekretär. Das war für die Partei die erfolgreichste Zeit überhaupt, denn die CSU fuhr in dieser Zeit wirklich Rekordergebnisse ein. Gibt es denn ein Geheimnis des Erfolgs? Knüpfen wir damit an das an, worüber wir gerade gesprochen haben?

Goppel: Ich habe mal auf diese Frage nach unseren Erfolgen geantwortet: „Wenn es der CSU besonders gut gegangen ist, dann war immer ein Goppel mit dabei!“ Das beste Wahlergebnis gab es in der Zeit meines Vaters, und ein ähnlich gutes, als ich Generalsekretär war. Das liegt aber selbstverständlich an Konstellationen, die wir alleine gar nicht beeinflussen können. Da passte einfach alles zusammen: Da ist die Opposition schwach. Das ist immer die erste Voraussetzung, dass etwas funktioniert. Denn man selbst hat ja nur relativ wenig erkennbare Fehler –aber Fehler sind sehr wohl vorhanden, das ist klar. Man kann etwas gut in Szene setzen und voranbringen. Und die Bevölkerung nimmt dann bestimmte Entwicklungen auch ohne Widerspruch hin. Man kann aber auch alles und jedes mit einem riesengroßen Widerspruch versehen. Ich nehme mal den Bahnhof in Stuttgart als ganz dramatisches, schwieriges Beispiel: 20 Jahre lang ist das diskutiert worden, ohne dass jemand Widerstand geleistet hat. Erst als die Anwohner gemerkt haben, dass ihre Bäume fallen und ihre Grundstücke beeinträchtigt werden und sich ein paar Grundsatzgegner – ich will das jetzt nicht negativ gewichten, denn ich könnte ja auch noch von Chaoten und Ähnlichen reden – dazugesellt haben und dann noch ein paar Chaoten oben drauf kamen und Rabatz gemacht haben, wurde das zu diesem Drama, bei dem am Ende der Herr Mappus gehen musste. Man muss sich hier wirklich vor Augen führen, dass da 20 Jahre lang überhaupt nichts gemacht worden ist und dass das ganz viele gar nicht registriert haben. Für die Politik stellt das heute eine große Schwierigkeit dar. Ein Generalsekretär muss das zusammen mit dem Parteichef einigermaßen im Griff haben: Er muss wissen, wann die Partei reagieren muss und wann sie sich anders aufstellen muss. Das haben wir in diesen fünf Jahren damals gut hinbekommen. Das lag aber auch an Edmund Stoiber, dem wirklich intensiven Kämpfer, denn das ist ja eine seiner größten Fähigkeiten.

Zimmer: Aber diese strategische Arbeit hat Sie schon auch gereizt?

Goppel: Ja, ich habe das sehr gerne gemacht. Ich habe das ja vorhin schon angedeutet: Jede Aufgabe, die ich hatte, war mir die wichtigste. Wenn Sie mich heute fragen würden, was ich am liebsten gemacht habe, dann würde ich sagen: alles zu seiner Zeit! Und ich habe nichts ungern gemacht, ich bin in nichts gegangen, was mir schwergefallen wäre. Das heißt, ich hatte mich für etwas entschieden und dann habe ich das auch gemacht. Ich habe immer versucht, mich beim Abendgebet oder Ähnlichem zu fragen: „Hast du etwas unterlassen?“ Ich glaube überhaupt, dass wir am Ende unseres Lebens – insofern es diese Zeit danach gibt, was ich aber fest glaube – nicht gefragt werden, was wir falsch gemacht haben, sondern gefragt werden, was wir wissentlich unterlassen haben.

Zimmer: Das mit dem „wissentlich unterlassen“ ist ein schönes Stichwort: Sie waren ja ein heißer Kandidat in der Nach-Beckstein-Ära für das Amt des Ministerpräsidenten. Sie haben dann jedoch Ihre Kandidatur zurückgezogen. Ist das ein Schritt gewesen, den Sie heute bereuen?

Goppel: Ich bereue ihn nicht, nein, überhaupt nicht. Ich habe damals zurückgezogen, weil Edmund Stoiber derjenige gewesen ist, der der Partei den Rat gegeben hat, zu entscheiden, ob sie eine Person auf zwei Positionen haben möchte oder ob sie das Amt des Ministerpräsidenten und des Parteivorsitzenden auf zwei Personen verteilt haben möchte. Die Partei hat dann in ihrer Mehrheit – in einer heute nicht mehr ganz so einheitlich gesehenen Form, sondern leicht umstritten – entschieden, dass sie jemanden will, der beide Positionen bekleidet. Ich hatte aber von Anfang an ausdrücklich gesagt: „Beide Positionen in einer Person vereinigt, das halte ich nicht für glücklich.“ Ich habe mich da vielleicht vom Blick auf die Ära von Franz Josef Strauß und Alfons Goppel leiten lassen. Denn damals ging das gut – obwohl da schon auch die Fetzen geflogen sind. Aber wenn zwischen diesen beiden Spitzen die Fetzen fliegen, dann braucht es nachher weniger Streit.

Zimmer: Dann kam, wie ich annehme, ein großer Einschnitt, als Sie im Kabinett Seehofer nicht mehr vertreten waren. Hat das geschmerzt, hat Sie das getroffen?

Goppel: Ich glaube, niemand geht gerne aus einer Position, in der er eine gute Arbeit gemacht hat. Denn so wie ich das bis jetzt höre, gibt es aus der bayerischen Sicht eigentlich keine Klage darüber, was wir in der Wissenschaftspolitik in diesen fünf Jahren gemeinsam gestemmt haben. Dieses „wir“ ist kein Pluralis Majestatis, sondern damit meine ich dieses glänzende Haus, dem ich an dieser Stelle ein großes Kompliment machen möchte, denn dort wurde wirklich gute Arbeit geleistet. Und darüber hinaus hat das natürlich auch mit dem zu tun, was in all diesen vielen Jahren gewachsen war. Wenn man fünf Jahrzehnte lang in der gleichen „Grunddenke“ Politik macht, hat das Folgen in jeder Hinsicht. Die SPD findet sich in Bayern in den Wahlergebnissen nicht so wieder, wie sie das gerne hätte, während wir von der CSU ganz einfach eine klare Linie eingehalten haben. Und über diese klare Linie kann man weniger streiten als über einen alle fünf Jahre stattfindenden Wechsel. Das ist halt nun einmal ein Problem. Und alle Länder, in denen die Regierungen lange halten, sehen besser aus als diejenigen, die andauend wechselnde Regierungen haben. Das ist doch etwas, was man sich meiner Meinung nach als Lehrsatz mitnehmen kann. Ja, ich habe die Entscheidung von Horst Seehofer am Anfang nicht verstanden, weil er sie vor allem mit dem Alter begründet hat. Aber das hat er ja inzwischen bleiben lassen, auch deswegen, weil er selbst inzwischen im gleichen Alter ist. Insoweit sind wir da jedenfalls wieder einer Meinung. Es gibt manche anderen Dinge, die weiter umstritten bleiben, aber das liegt auch daran, dass da jemand Ministerpräsident geworden ist, der über 20 Jahre lang auf Bundesebene agiert hat: also ein Zentralist, der jetzt zum Föderalisten mutierte. Denn das war immer schon ein Unterschied, auch schon bei Franz Josef Strauß.

Zimmer: Trotz der Enttäuschung haben Sie diesen Bruch doch als Chance für einen Neuanfang erleben können.

Goppel: Zwingend, aber ich bin auch sehr dankbar dafür, dass mir andere dabei geholfen haben. Ohne die vorher geleistete ehrenamtliche Arbeit bei den Blasmusikverbänden hätten mich die Musiker nicht gekannt. So sind sie auf die Idee gekommen, mir das Amt des Musikratspräsidenten anzuvertrauen. Wobei ich aber hier ausdrücklich sagen will: Auch für die Damen und Herren dort – es sind insgesamt ja ungefähr eine Million Menschen, die sich aktiv als Musikerinnen und Musiker betätigen – ist es ein Gewinn, dass da jetzt jemand aus der Politik mal einen anderen Blick darauf wirft. Damit komme ich wieder auf das zu sprechen, was ich vorhin schon erwähnt habe: Alle fünf Jahre soll man das Ressort wechseln, denn das bringt nicht nur das Ministerium, sondern auch einen selbst produktiv durcheinander, sodass beide dann in frischer Weise aktiv werden können. Dasselbe gilt auch beim Musikrat. Wir führen plötzlich politische Gespräche, die hat es früher nicht gegeben. Man war dort froh, wenn man vom Staat ein paar Euro bekommen hat – um dann ganz still und leise die eigene Musik zu machen. Aber wir befinden uns einfach im Wettbewerb mit den nicht-musischen Fächern in der Schule und sind dort eigentlich endlos unterlegen: Wir haben überhaupt keine Chance, wenn wir nicht miteinander politisch aktiv unterwegs sind. Im Interesse der nächsten Generation ist es zwingend notwendig, dass der musische Teil des Hirns anders, besser entwickelt wird. Denn dieser Teil muss im Wettbewerb gelegentlich den Ausgleich schaffen dafür, dass wir zu viel am PC sitzen, uns zu viel und zu einseitig mit allem Möglichen vollpfropfen. Dazu braucht es die Musik – wie auch den Sport.

Zimmer: Gerade für das Zusammenbringen verschiedenster Interessen in einem Musikverband, der eine Million Bürgerinnen und Bürger repräsentiert, braucht es wohl schon auch ein Händchen, braucht es diplomatisches Gespür.

Goppel: Das sowieso. Das ist ganz toll im Musikbereich, weil ich dort die Argumente, die ich in diese Form der politischen Arbeit einbringe – und meine Argumente werden ja nicht deshalb anders, weil ich sie nun nicht mehr in die Partei einbringe –, nun anderes begründen muss. Auch das ist wichtig, denn ich kann dort ja nicht sagen: „Die CSU will das und das und jetzt macht mal! Die SPD will jenes, aber das wollen wir nicht!“ Im parteipolitischen Leben ist das möglich, in der Musik geht es höchstens um die Frage „Dur“ oder „Moll“. Nein, im Ernst, die zentrale Frage lautet bei der Musik: Wie kann man möglichst viele so faszinieren, dass sie mitmachen? Und das ist nicht abhängig von diesen besonderen Umständen, die bei der politischen Alltagsgeschichte dazugehören. Ich habe jedenfalls einen riesengroßen Spaß dabei zu erleben, wie sehr es Menschen gerade mit der Musik gelingt, andere Menschen zu holen und zu gewinnen. Dass das in Bayern so gut geht, liegt daran, dass da ganz unglaublich viele im Ehrenamt unterwegs sind und dass die Kommunen, denen ich dafür ganz besonders dankbar sein darf, mit den von ihnen organisierten Musikschulen zumindest bis jetzt dem Freistaat eine ganz wichtige Aufgabe abgenommen haben. Wenn aber in Zukunft die Kinder von morgens acht Uhr bis nachmittags um vier Uhr in der Schule gehalten werden, dann müssen wir auch von staatlicher Seite aus sicherstellen, dass der musische Bereich dabei nicht zu kurz kommt. Und deswegen ist es auch ganz gut, wenn einer aus der Politik mit einem anderen Ansatz mal ein bisschen dafür sorgt, dass sozusagen die Notenschlüssel nicht zu klein geschrieben werden.

Zimmer: Und der Ansatz lautet: fordern und fördern. Sie fordern Unterstützung vonseiten der Politik und fördern damit die jungen Menschen.

Goppel: Ja. Aber wir fordern schon auch die jungen Menschen selbst. Das Tolle ist z. B. der Wettbewerb „Jugend musiziert“, bei dem der Bayerische Rundfunk und der Musikrat so glänzend zusammenarbeiten. Da müsste ich jetzt eigentlich alle der Reihe nach erwähnen, die dabei mitmachen, ich erwähne nur mal Axel Linstädt und seine Leute. Sie machen dort ihre Arbeit und fallen alle gar nicht so sehr auf und können doch eine glänzende Ergebnislage vorweisen: angefangen mit den Preisen, die gewonnen werden, bis zu der Tatsache, dass der Bayerische Rundfunk die Bamberger Symphoniker stützt, die ja keine so ganz einfache Orchestergeschichte hinter sich haben. Immerhin war das früher mal das Deutsche Philharmonische Orchester Prag, wie man nicht vergessen sollte.

Es geht selbstverständlich auch darum, dass wir die nichtstaatlichen Orchester einbinden, dass die Hofer Symphoniker andererseits ihre Musikschule am Leben erhalten können usw. Dass in all diesen Blaskapellen und Chören so unglaubliche viele Menschen aktiv sind, finde ich faszinierend. Was ich so ein bisschen meiner persönlichen Bilanz zuschreibe, ist die Tatsache, dass heute sieben Kollegen aus dem Bayerischen Landtag – aus ganz unterschiedlichen „Fakultäten“! – entdeckt haben, dass die Musik ein Grund ist, sich über das parlamentarische Geschehen hinaus zu engagieren. Das war noch vor zehn Jahren nicht so: Da war der Karl Kling ganz alleine und hat dann erst mich geworben. Inzwischen sind wir aber schon sieben – womit wir bald schon so viele wie beim Sport wären, für den sich sogar mal 20, 25 Landtagsabgeordnete engagiert haben, bei dem das aber inzwischen ein bisschen rückläufig ist. So, und jetzt müssen wir da auch noch die bildende Kunst aufgabeln.

Zimmer: Das wird Ihnen sicherlich auch noch gelingen.

Goppel: Schau’n wir mal.

Zimmer: Ich weiß ja nicht, wie Sie das in Ihrem Terminkalender eigentlich noch unterbringen wollen.

Goppel: Das fragt meine Frau auch regelmäßig.

Zimmer: Denn Sie sind ein so hoch engagierter Mann, der …

Goppel: … auf so vielen Hochzeiten tanzt? Das wollten Sie doch gerade sagen, oder?

Zimmer: Das habe ich mir gerade noch verkniffen. Woher nehmen Sie dafür die Kraft?

Goppel: Von daheim. Und ein Stück weit schon auch aus der Erinnerung an die wirklich faszinierende Tätigkeit der Eltern. Ich habe das ja am Anfang unseres Gesprächs bereits erwähnt: Sie wurden morgens, wenn sie das Haus verlassen haben, drei Zentimeter größer – und durften abends schon auch mal fünf Zentimeter kleiner werden. Das ist eine Kombination, die meiner Meinung nach wirklich gut ist. Wenn man die Aufgaben, die man macht, mit Begeisterung macht, dann fördern sie einen ja auch. Es gibt ja schließlich auch den Eu-Stress. Ich nenne ihn ja immer den „EU-Stress“, womit ich ausdrücken will, dass auch das Engagement für Europa nicht so verkehrt ist. In Wirklichkeit kommt „Eu-Stress“ aber aus dem Griechischen und bedeutet: „Das, was uns gut tut, dürfen wir ohne Ende tun.“ Nur das, was uns schädigt und stresst, sollten wir weglassen. Diesen Eu-Stress empfinde ich also doch in den meisten Fällen meiner Arbeit. Ab und zu wird man auch mal ein bisschen müde, das ist klar: Ich merke das wie jeder andere auch. Aber es sind einfach noch nicht genügend Menschen da, die das übernehmen würden.

Zimmer: Können Sie denn loslassen? Kann der Privatmann Thomas Goppel auch mal sagen, „ich lasse los“?

Goppel: Ich glaube, dass die Mehrzahl der Menschen in meiner Umgebung darauf mit Nein antwortet. Aber ich erlebe mich ja selbst Tag für Tag und da gibt es erstens jeden Morgen – das ist zwangsläufig einstudiert – diese halbe oder Dreiviertelstunde, in der gesportelt wird. Bis vor fünf, zehn Jahren habe ich das keineswegs so gemacht. Zweitens gibt es für mich diese eine oder zweiStunden im Auto, wenn ich unterwegs bin – ich mache sehr viel mit dem Auto, weil ich dadurch zeitlich unabhängiger bin –, in denen ich mich der Musik ganz besonders hingeben kann. Das ist auch der Grund, warum ich beim Musikrat gelandet bin: Ich höre einfach ganz viel klassische Musik. Was ich nicht mehr schaffe, was ich als schade empfinde und was ich mir daher für die nächste Zeit doch wieder vornehmen will, ist, mich ans Klavier zu setzen. Das Klavierspielen habe ich am Anfang ja nur mühsam gelernt, weil ich nämlich zwei Brüder habe, die wirklich sehr gut Klavier spielen. Der eine kann wirklich jedes Klavierkonzert vom Blatt spielen, der andere kann bzw. konnte wunderbar improvisieren, denn leider ist er inzwischen bereits ein „Zuschauer von oben“. Diese beiden waren so gut, dass wir drei Jüngeren gesagt haben: „Warum sollen wir uns anstrengen? Wir haben die Meister ja bereits in der Familie!“ Aber nun ist es doch an der Zeit, ein Stück weit selbst Klavier zu spielen, d. h. da würde ich jetzt doch gerne noch etwas zulegen und drauflegen. Ich habe also schon jeden Tag ein, zwei Stunden, in denen man entspannen kann. Und es gibt da noch etwas, was ich vom Vater gelernt habe und was ich als wirklich faszinierend empfinde: Es gibt eigentlich keine Umstände, in denen ich nicht durch einen kleinen Schlaf wieder fit werde. Das geht wirklich fast bei jeder Gelegenheit und ich gebe zu, dass das manchmal sogar im Kabinett funktionierte.

Zimmer: Wie lange dauert so ein Schlaf?

Goppel: Fünf Minuten – und dann bin ich wieder voll da.

Zimmer: Wie gehen Sie denn mit Ihrer knappen Freizeit um, Herr Dr. Goppel? Was sind da – vom Klavierspiel abgesehen – noch für Wünsche offen?

Goppel: Ich habe wahnsinnig gerne auch mit meiner Frau zusammen so manche Sportart getrieben wie z. B. das Skifahren. Das geht heute aber nicht mehr ganz so gut und das kostet einen ja auch immer sehr viel Zeit. Zweitens liebe ich das Entspannen an Deck eines Schiffs. Damit meine ich aber nicht diese ganz großen Dampfer, denn für mich ist es nicht entspannend, wenn 2500 Menschen um einen herum an Deck sitzen. Nein, ich meine damit eher so die kleinen Dreimaster, bei denen jemand anderer die Arbeit übernimmt, während man sich selbst dem Blick auf die Wellen widmet und sich aufs Meer hinaus schaukeln lässt. Das möchte ich gerne wieder ein Stückchen mehr pflegen. Was für mich einfach mit dazugehört, ist, auch irgendwie die Gelegenheit zu haben, einfach so ins Land hineinzuträumen, sich das Panorama anzuschauen und das, was man da sieht, nämlich den Horizont, im wahrsten Sinne des Wortes zu weiten, indem man den entfernten Horizont erst einmal entdeckt. Das, was man da entdeckt, bedeutet, dass man auch die Neuerungen, die neuen Entwicklungen registriert, von denen aus sich dann wieder Land gewinnen lässt. Denn man muss ja zuerst einmal ein Ziel erreichen, damit man die nächsten Ziele sehen kann. Hier immer wieder neu anzusetzen, ist mir außerordentlich wichtig.

Zimmer: Das heißt, Sie sind ein Mensch, der sich im wahrsten Sinne des Wortes auch immer wieder erdet.

Goppel: Ich möchte das gerne und ich versuche, wo immer das geht, Menschen in meiner Umgebung so festzuhalten, dass sie mit mir zusammen überprüfen, ob unser gemeinsamer Standort richtig ist: im Gespräch, im Kontakt, in der gemeinsamen Überlegung und manchmal auch nur in der stillen Beobachtung. Ich bin vor Kurzem bei der Wahl des Bundespräsidenten dabei gewesen. Es hat mich gefreut, dass ich das noch einmal machen durfte, denn auch das ist ja eine der Angelegenheiten, bei denen man sich sagen muss: „Irgendwann ist auch das vorbei!“ Nachdem ich annehme, dass dieser Bundespräsident nun durchhält …

Zimmer: Wollen wir’s hoffen.

Goppel: … wird es wohl die letzte Bundespräsidentenwahl für mich gewesen sein. Das muss man einfach ganz nüchtern sehen. Ich bin dort so weit hinten gestanden, dass ich heute schon fünf Mal angerufen worden bin: „Sag mal, dich habe ich gestern bei der Fernsehübertragung der Wahl ja gar nicht gesehen. Du warst doch angeblich dort.“ Ich kann darauf nur sagen: Ich war nicht nur angeblich dort, sondern ich bin hinten gestanden und habe die Leute beobachtet: in ihrer Geschäftigkeit, in ihrer intensiven Kontaktnahme, beim Einreden auf andere, im gelangweilten Herumsitzen auf den hinteren Bänken. Ich habe auch den einen oder anderen bei einem kleinen Schläfchen beobachtet. Zu beobachten, wie andere diesen Tag bestreiten, ist für mich ein ganz wichtiger Gesichtspunkt für die eigene Überprüfung dessen, was man tut.

Zimmer: Es mag vielleicht ein bisschen pathetisch klingen, aber bei einem solchen Geburtstag darf man das, glaube ich, doch fragen: Gibt es denn eine Vision, ein Lebensmotto für Sie, Herr Dr. Goppel? Gibt es eine Überschrift, die für Sie wichtig, die für Sie prägend ist?

Goppel: Mein Vater hat nach dem Satz gelebt: Tue recht und scheue niemand! Ich fand dieses Motto großartig. Er hat niemanden gescheut, aber er ist ganz freundlich und liebenswürdig mit allen Menschen umgegangen. Meine Frau hat das später übertragen und als Grundsatz immer zu mir gesagt: „Vergiss nicht, wenn du morgens gehst, das Niederschmusen ist dein Geschäft.“ Dieses Wort „niederschmusen“ ist phänomenal, weil es nichts an sich hat von „sich völlig hingeben“, „keine Unterschiede mehr kennen“ oder „alle anderen umarmen“. Stattdessen sagt es etwas aus über die eigene Haltung, über das Gradlinige und all das, was dazugehört, und dass man dabei dem anderen doch ein Stück weit das Zugeständnis macht, dass seine Haltung anerkannt wird – unabhängig davon, ob diese die Wirklichkeit trifft oder nicht. Dieses Wort „niederschmusen“ gefällt mir wirklich unheimlich gut. Und wo immer ich es erwähne, trägt es auch dazu bei, dass man sich leichter versteht. Mein eigenes Motto aber lautet und lautete immer schon: „Bitte den lieben Gott um Segen für deine Arbeit, aber verlange nicht, dass er sie für dich tut!“

Zimmer: Meine Damen und Herren, das war das alpha-Forum mit Dr. Thomas Goppel. Herr Dr. Goppel, ich danke Ihnen sehr für die offenen Worte. Und bei Ihnen zu Hause bedanke ich mich für Ihr Interesse, auf Wiedersehen.

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