Rede im Malura-Museum Oberdießen am 15.04.2012, Vernissage und Einstiegsgrußwort
(Es gilt das gesprochene Wort)
Mitten im Deutschlandjahr unserer indischen Freunde, eingeleitet durch unsere Bundeskanzlerin in Neu-Dehli am 31. Mai 2011, inzwischen in vielen Aktionen hier wie dort realisiert, setzen wir heute an der innerbayerischen Grenze zwischen Oberbayern und Schwaben einen ganz besonderen Akzent:
Während die Höhepunkte der aktuellen Zusammenarbeit zwischen den beiden Staaten sieben große, groß angelegten Termine in zentralen Städten Indiens vorsehen (z. B. in Neu-Dehli wie in Mumbai und Kalkutta etc.), ziehen wir uns hier in Oberdießen zwar nicht auf den Geburtsort des heute blühenden Kulturkontaktes zwischen den zwei Gastgeberländern zurück, aber doch an eine Stelle, die den Großraumplanern unserer Tage ganz gewiss so nicht eingefallen wäre:
Oberdießen ist in der seit dem Zweiten Weltkrieg, seit 1950 zunehmenden Nähe der beiden Akteure im Weltgeschehen noch wahrlich nicht aufgefallen als Ort mit Jubel- oder Mahncharakter. Nein! Oberdießen beherbergt lediglich ein kleines Archiv: Hier im Malura-Museum sind die verbalen, zu Text oder Bild gewordenen Erinnerungen von Oswald Malura an seinen Indien-Aufenthalt archiviert und werden mit dem heutigen Tag im Rahmen der Malura-Stiftung zum kleinen kulturellen Nukleus für eine bayerisch (oberbayerisch/schwäbische)-indische Kulturzelle.
Ihre langfristige Existenz und womögliche Blüte hängt ab davon, ob sich den engagierten Gründern von heute Gleichgesinnte zu- und nachgesellen.
Ja! Verehrte Frau Botschafterin, Sie und die übrigen Gäste aus den großen Städten unseres und Ihres Landes unterstreichen durch ihren Besuch, dass Oberdießen wichtiger ist als es die Geographen in Neu-Dehli und Berlin bisher annehmen. Wir sind es, die es in der Hand haben, dafür zu sorgen, dass spätere Besucher hier das gesammelte und offerierte Erinnerungswerk an die Begegnung zweier für ihre Umgebung wichtigen Männer erinnert und die Episode nicht als „vergessbarer Spritzer eines Schwitzflecks der Kunst- und Kulturgeschichte“ abgetan wird.
Die Präsentation der Begegnungen zwischen dem ersten indischen Literatur-Nobelpreisträger Rabindranath Thakur, Tagore und Oswald Malura, unserem bei Ratibor in Polen geborenen großen Sohn der Gemeinde Unterdießen und des Ortsteiles Oberdießen, stehen für einen kulturpolitischen Impuls. Er soll mit unserer Initiative sowohl Neu-Dehli als auch Berlin in Erinnerung gerufen sein, wenn die Zwei heute mit ihren politisch-gesellschaftlichen Berichten den Eindruck vermitteln, dass der Zusammenhalt der Völker den neu geschaffenen großen Reißverschlüssen zu danken ist.
Der Schneider weiß, dass der Anzug dann sitzt, wenn an keiner Stelle, an der unterschiedliche Stoffe zusammenkommen, beim Entstehen der Naht die nötige Sorgfalt vergessen war.
Die vor dem kritischen Auge der Weltgeschichte nur mikroskopisch wahrnehmbare Sympathie, die sich die beiden Künstler, der Literat Tagore und der Maler Malura entgegenbrachten, wirkt höchstens als Hauch und Saum des Stoffs, aus dem die Geschichte Träume und Albträume webt. Und es steht doch fest: Es gibt sie in Oberdießen wie andernorts im wachsenden Umfang, die Gemeinsamkeiten der beiden Staaten, die in den Jahrzehnten seit 1950 unterschiedlichste und oft überraschende Veränderungen bekunden. Sie lassen erahnen, dass, sofern beide den erreichten Status im Schulterschluss nutzen, diese Gemeinsamkeiten auszubauen, zu erweitern sind. Einer der Schritte, die dazu weiter aufeinander zu getan werden müssen, findet eben statt. Unverdächtig, weil auf künstlerischer Offenheit und Sensibilität fußend, auf dem Interesse an Einmaligkeit, wie es Kunst im Besonderen bietet, Gemeinsamkeit, die stark macht und Unterschieden, die neue, aufbauende Antworten von den Beteiligten fordern.
Oswald Malura ist es, dem wir die außergewöhnliche Kombination des artifiziellen Gründerpaares Tagore/Malura verdanken.
Er – Malura – kommt nach seiner Lehrzeit beim oberschlesischen Dekorationsmaler in Ratibor – als schneller, schon nach zwei Jahren der Studienzeit zum Meister herangebildeter Stipendiat nach Indien und Ceylon.
Dort trifft er sie, die beiden indischen Großen des vergangenen Jahrhunderts, Mahatma Gandhi und den Literatur-Nobelpreisträger Rabindranath Thakur. Was er zu sehen bekam und empfand, was er mitgenommen hat und für sich umgesetzt, finden wir nicht nur in seinen Bildern wieder, sondern auch dem Reisebericht 1948 „als Maler durch Indien“, der den Beleg dafür liefert, dass das alte Sprichwort taugt: „Reisen bildet.“ Zumal in der persönlichen Lebensphase, in der man sich die eigene Orientierung beschafft. Malura war rechtzeitig und was sein Alter damals angeht, recht zeitig unterwegs.
Und Maluras Lebensweg bleibt, einmal reisefreudig begonnen, unruhig, aber deswegen noch nicht der eines Vagabunden. Geprägt und geformt von den Wandereindrücken, die u. a. sein Buch dokumentiert, wird er selbst im Schwabinger Künstlernetz die sesshafte Größe, eine, die lebenslang gefragt bleibt. Er kennt den Tellerrand, wenn von ihm verlangt wird, die Welt der Qualitäten nach den Tagen der ideologischen „Entartung“ wieder zusammenzuführen.
Er tut es von Schwabing aus und Landsberg/Oberdießen, wo kräftiges Sammeln angesagt ist und das nicht nur im und für den Seerosenkreis. Malura weiß, was den Blick der und den für die Künste heute schärft und ist – alles andere als da eine Regel für seine Spezies – Bild- und Wortmaler, ist es – meinem Eindruck gefolgt – in der umgekehrten Reihenfolge wie Rabindranath Thakur, Tagore.
Wie schildert eine Münchner Zeitung den 80 Jahre alten Oskar Malura 1986? Er ist, heißt es da, „Maler, Zeichner, Galerist, Lehrer, Autor, Weltenbummler, Weltstaatler, Traumstädter“ zugleich – eben eine Schwabinger Institution.
Naturgemäß weiß einer wie ich über den Künstler, dem wir die Akzentsetzung heute verdanken, mehr, wenn er im eigenen Umfeld gewirkt hat – und das lange. Beim jüngsten Sohn eines Brahmanen, dem es um die Wiederbelebung des ultimativ monistischen Hinduismus ging, der von 1861 bis 1941 gelebt hat, also vor meiner Zeit, gelingt die Lebenswegbeschreibung nur lückenhaft. Obwohl er als Nobelpreisträger für Literatur 1913 als Berühmtheit gelten darf, der erste, der in England gebildet, nicht in Europa geboren, also nicht zuerst geformt wurde, hier nicht nur als Multitalent und Brückenbauer fungiert.
Rabindranath Thakur, Tagore, kehrt nach seinen Lehr- und Wanderjahren durch England nach Hause zurück, wird Gutsverwalter und findet dabei die Zeit, geistiges Zentrum seiner Umgebung zu werden. Der treue Freund von Mahatma Gandhi macht sich von den ersten Tagen seines Schaffens an nicht als Wirtschaftler einen Namen, sondern als Dichter. Die Bengalen können davon ganze Litaneien vorlegen. So wie bei uns die Zeitung für Maluras Omnivalenz die richtige Auflistung findet, gibt es sie schon nach kurzer Recherche auch für Tagore.
Dichter ist er zuerst, Dramaturg dann und Maler auch, Zeichner. Führt man die Begabungen, die ihn prägen, zusammen und weiß dann auch noch, dass er sich als Musiker, als Komponist für seine eigenen Werke einen Namen gemacht hat, dann findet sich die Kombination, die die zwei, die sich in Indien in den dreißiger Jahren kennenlernen, gegenseitig inspiriert, leicht und gern in dem Begriffspaar -hier Bild- dort Wortmaler – wieder.
Alle kundige Welt weiß, dass solches Miteinander (auch der unterschiedlichen Welten wegen, in denen man aufgewachsen ist) alles andere als die Regel ist.
Solcher Wurzel nachzuspüren, auf den Grund zu gehen, zu prüfen, ob sich daraus nicht ähnliche, weitere Ableger gewinnen lassen, ist reizvoll und, wenn man um die Wirkkraft solcher Initialzündungen weiß, geradezu Pflicht.
Dass Sie, verehrte Frau Botschafterin, Oberdießen die Ehre Ihres Besuches schenken, um zu verdeutlichen, dass Sie den kulturellen Auftrag der Tagore/Malura-Begegnung für ähnlich wichtig halten wie die wirtschaftlichen Akzentsetzungen, die zeitgleich in Ihren Großstädten in Indien ihren Niederschlag finden, ehrt zuerst den Künstler unsererseits, den inzwischen unumstritten hochgeschätzten Oswald Malura, dann allerdings auch die Gemeinde, die ihm nicht nur Wohnung, sondern auch Herberge, Bleibe geboten hat.
Er ehrt eine Stunde, die wir uns in der Hektik unserer Tage öfter leisten sollten. Denn: Die Tagoras und Maluras, sie sind einer Welt, in der die Entfernungen geschmolzen sind, alles andere als Solitäre. Überall dort, wo wir sie entdecken und auf der Spur bleiben, entstehen nicht nur in der Wirtschaftspolitik Trampelpfade und schließlich Autobahnen. Auch in der Kultur braucht es sie, die Impulse, die uns spüren machen, dass das Gute, dem wir Raum geben, das Zeug dazu hat, dem Schlechten, das wir gemeinsam bekämpfen, den Garaus zu machen.
Politik, so begonnen, gesteuert und zu Ende gebracht, könnte anders werden und preiswerter dazu; sie förderte wieder Neugier und Wissensdurst, Sensibilität und Phantasie, Tatendrang und Erledigungslust, Eigenschaften also, die hier in Bayern wie in Indien eine größere Anhängerschaft vertragen könnten. Aus unterschiedlichem Beweggrund, aber mit einem Ziel: Gemeinsam schaffen wir fast alles besser.