Rede „Umwelt als Mitwelt“

05.08.2011 in Reden. Kommentare deaktiviert für Rede „Umwelt als Mitwelt“.

Woche Ganzheitlicher Bildung – Erzabtei Sankt Ottilien

(Es gilt das gesprochene Wort)

Darum soll das Land verdorren

„Es gibt keine Treue und keine Liebe und keine Gotteserkenntnis im Land. Nein, Fluch und Betrug, Mord, Diebstahl und Ehebruch machen sich breit, Bluttat reiht sich an Bluttat. Darum soll das Land verdorren, jeder, der darin wohnt, soll verwelken samt den Tieren des Feldes und den Vögeln des Himmels; auch die Fische im Meer sollen zugrunde gehen.“

Bei diesen Donnerworten des Propheten Hosea mögen seine Hörer betroffen den Kopf eingezogen haben. Aber auch wir hören über die Zeitkluft von 2700 Jahren hinweg seine wortmächtige Sprache, werden nachdenklich und sind betroffen. Denn manche seiner Prophezeiungen haben inhaltlich unübersehbar Ähnlichkeit mit der aktuellen „Tagesschau“:

In Somalia verdorrt das Land, und alles und alle, die darin wohnen, verwelken.

In Fukushima sind nach Land und Boden nun auch die Fische im Meer radioaktiv verseucht.

Die Ölkatastrophe im Golf von Mexiko belastete hunderte von Kilometern Meeresstrand.

In Portugal brennen die Wälder, Spaniens Wasservorräte versiegen.

Und dies alles, weil es „keine Treue und keine Liebe und keine Gotteserkenntnis im Land“ mehr gibt, wie Hosea sagt?

Unser aufgeklärtes Zeitalter versteht die Umweltproblematik vor allem als eine wissenschaftliche und technische, wirtschaftliche und politische Herausforderung. Auf dieser Ebene führen wir unsere Debatten: Ausstieg aus der Atomenergie – Um- und Einstieg in die Solar- und Windenergie. Sicher schwierig, aber technisch und wirtschaftlich machbar. Auf lange Sicht vielleicht sogar das ganz große Geschäft. Aber die richtige Alternative? Wie lange?

Die Menschen ahnen, dass sich hinter diesen technisch-ökonomischen Problemen noch eine zweite, tiefere, eine echte Deutungsschicht verbirgt. Die Sachfragen des Umweltschutzes sind Sinnfragen: Fragen nach Sinn und Ziel der gesellschaftlichen Entwicklung, der persönlichen und menschlichen Erfüllung. Die Menschen fühlen, dass die Krise der Umwelt eine Krise der Innenwelt mit sich führt, dass beide Defekte einander bedingen, zumindest ergänzen.

Wie der Prophet Hosea sagt: Die Umweltkrise ist auch eine Schöpfungskrise – eine Krise des Verhältnisses von Mensch und Schöpfung, zwischen Mensch und Schöpfer.

„Die gnadenlose Folge des Christentums“

In einer solchen Krise erwartet der Christ Rat und Hilfe von seiner Kirche. Aber kann die Kirche diese Hilfe leisten? Trägt nicht gerade das Christentum selbst, die alttestamentarische Schöpfungsbotschaft und der christliche Schöpfungsglaube selbst Mitschuld an der Zerstörung der Umwelt? Ist die „Verwüstung des Weinbergs“ nicht „die gnadenlose Folge des Christentums“, wie Carl Amery vor rund 40 Jahren zu Beginn der modernen Umweltdiskussion schrieb.

Niemand wird die Mitverantwortung der Christen an unseren heutigen Umweltproblemen bestreiten wollen. Die moderne Industriezivilisation wurde im christlich geprägten Abendland geboren – als legitime, allerdings emanzipierte „Tochter der Kirche“, wie Bert Brecht einmal schrieb.

Aber es gibt noch eine zweite, genau entgegengesetzte Kritik des Christentums. Bis heute gilt es als ungemein aufgeklärt, die Kirche als Hort der Rückständigkeit zu denunzieren, als eine Institution, die sich seit Galileis Zeiten dem wissenschaftlichen Fortschritt entgegenstellt.

Es ist nun nicht gut möglich, dem Christentum zugleich vorzuwerfen, es habe aus Fortschrittsfeindlichkeit die technisch-wissenschaftliche Entwicklung gehemmt, und habe aus Fortschrittsgläubigkeit die Ausbeutung und Vergewaltigung der Natur vorangetrieben.

Eines aber hat die Kritik an der Kirche bewirkt: Die Theologie hat sich ihr gestellt und begonnen, die biblische Schöpfungslehre neu zu durchdenken und zu vertiefen, und sie hat dabei „bisher unbeachtete Schätze der Überlieferung in biblischer und systematischer Theologie zutage gefördert“, wie EKD und Bischofskonferenz im Jahre 1985 gemeinsam schrieben.

Die moderne Exegese der Schöpfungsgeschichte und des Schöpfungsauftrags „Macht Euch die Erde untertan“ gewinnt für uns Heutige eine geradezu faszinierende Aktualität.

Schöpfungsbericht – neu erzählt

Der biblische Schöpfungsbericht lehrt zunächst, dass die Welt und alle Dinge, Pflanzen und Tiere und zuletzt der Mensch das Werk Gottes sind. In der Bibel sind – im Gegensatz zu den Mythen der anderen altorientalischen Völker – die Elemente des Kosmos, die Gestirne, die Naturgewalten, die Gewässer und Bäume nicht göttlicher Natur oder Sitz von Geistern und Dämonen. Sie sind vielmehr geschaffene Dinge, das Werk des einen Schöpfers. Der Schöpfungstext des Alten Testaments entgöttert die Natur.

Als letztes Geschöpf wird der Mensch geschaffen. Er ist aus der übrigen Schöpfung dadurch hervorgehoben, dass er als „Abbild Gottes“ geschaffen wird. Dennoch ist er Teil der Schöpfung und Geschöpf unter Geschöpfen.

In der zweiten, älteren Schöpfungsdarstellung der Genesis wird diese Kreatürlichkeit und Eingebundenheit des Menschen in die übrige Schöpfung noch durch ein Wortspiel unterstrichen: Der Mensch (hebräisch: Adám) aus der Erde vom Ackerboden (hebräisch: Adamáh). Bildhafter lässt sich die Verwandtschaft von Mensch und Natur kaum in Worte fassen.

Die Schöpfung als einheitliches, ganzheitliches Geschehen, das Mensch und Natur umschließt, die Um-Welt als Mit-Welt: Das ist für mich der Kern des alttestamentarischen Schöpfungsglaubens.

Diese tiefe Verwandtschaft hat der Heilige Franz von Assisi in seinem „Sonnengesang“ wunderbar in Worte gefasst, wenn er Gott dankt „für unsere Schwester, die Sonne, für Bruder Mond, für Schwester Quelle, für Bruder Feuer, für unsere Schwester, die Mutter Erde, die uns versorgt, uns nährt und fertigt allerlei Frucht und farbige Blumen und Gras.“

Es war eine bewegende Entscheidung von Papst Johannes Paul II., dass er den Hl. Franz von Assisi (am 29. November 1979) zum Patron des Umweltschutzes bestimmt hat.

Der Mensch ist aber nicht nur Teil der Schöpfung, er hat auch Teil an der Schöpfungsmacht Gottes: „Macht Euch die Erde untertan“. Gegen die Vorwürfe, die an diese Aussage geknüpft wurden, verweist die moderne Exegese darauf, dass dies ein Segen ist:

„Gott segnete sie und Gott sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und vermehrt euch, bevölkert die Erde und unterwerft sie euch.“

Die Herrschaft des Menschen über die Natur hat in diesem Segen ihre Rechtfertigung, aber auch ihre Grenze. Eine Schädigung und Ausplünderung der Schöpfung ist nicht der Segen, den Gott gemeint hat. Das Herrscheramt des Menschen über Natur und Kreatur besteht in der Statthalterschaft für den Schöpfer. Der Mensch ist Verwalter, „Hausvogt“, wie Luther übersetzt hat.

Eine authentische Auslegung des Herrschaftsauftrags liefert uns das Alte Testament selbst, im zweiten, älteren Schöpfungsbericht der Genesis:

„Gott der Herr nahm also den Menschen und setzte ihn in den Garten von Eden, damit er ihn bebaue und hüte.“

Für die Bibel – und für unsere moderne Wissenschaft – steht am Anfang des modernen Menschen, am Anfang unserer Kultur der gärtnerische Umgang mit der Natur – die neolithische Revolution.

Das Bild, das die Bibel dafür benutzt – das Bild vom Menschen als Gärtner im Garten Eden – rührt uns heute noch tief an. Beides ist dem Menschen in der Bibel aufgetragen: Das Schöpferische und Bewahrende, das Nützen und Schützen der Umwelt – „Kultur“ in dem tiefen, doppelten Sinn, den auch das lateinische Wort „colere“ hat: Bebauen und pflegen, umgestalten und bewahren.

Dualismus der Aufklärung

Diese ganzheitliche Sicht der Schöpfung haben wir mit dem Ausklingen des Mittelalters, mit Renaissance und Aufklärung verloren. Seit Descartes entwickelt sich ein neues Selbstbewusstsein und Naturverständnis, indem der Mensch nicht mehr Mitarbeiter an der Schöpfung Gottes ist, sondern selber Schöpfer: „Herr und Meister der Natur“, wie Descartes schrieb (am Endes seines Discours de la Méthode von 1637).

Kraft der Vernunft und der Wissenschaft kann der Mensch als autonomes Subjekt alles erkennen und alles erschaffen. Seine Freiheit von den Naturgesetzen ist die Freiheit des Schöpfergottes.

Die Wissenschaft gibt dem Menschen die Herrschaft über die Natur zurück, die er im Sündenfall verloren hat.

Damit ist der Schöpfungsauftrag entgöttlicht, das Geschöpf vom Schöpfer emanzipiert, die ganzheitliche Verbindung von Mensch und Natur getrennt.

Die Natur verliert ihren Eigenwert und wird zum Instrument des menschlichen Fortschritts.

Die wahre Sünde des Christentums liegt darin, dass sie der schillernden Faszination dieses Weltbildes und seiner zum Teil ja großartigen Fortschritte zu sehr und zu oft auch allzu einseitig erlegen ist.

Ganzheitlichkeit der Moderne

Heute ist es nun gerade wieder die moderne Wissenschaft, die dieses alte dualistische Weltbild mit seiner tiefen Kluft zwischen Mensch und Natur widerlegt. Werner Heisenberg fasst dieses neue Verständnis so zusammen:

„Im Blick der Wissenschaft steht…das Netz der Beziehungen zwischen Mensch und Natur, die Zusammenhänge, durch die wir als körperliche Wesen abhängige Teile der Natur sind und sie gleichzeitig als Menschen zum Gegenstand unseres Denkens und Handelns machen.

Die Naturwissenschaft steht nicht mehr als Beschauer vor der Natur, sondern erkennt sich selbst als Teil dieses Wechselspiels zwischen Mensch und Natur.“

Vor allem die Wissenschaften von der Evolution und der Ökologie zeigen, dass sich der Mensch nur als Bestandteil der Natur begreifen kann. Aus Sicht der Evolution ist der Mensch Teil jener Kette des Lebens, das mit einfachsten Lebensformen beginnend die Erde heute als Biosphäre erfüllt. Der Mensch ist Erbe dieses Evolutions-Prozesses und somit Erbe und Teil der Natur.

Aus Sicht der Ökologie wiederum ist der Mensch eingebettet in das dichte Geflecht des Naturhaushaltes. Wie jede Art darf der Mensch sein „Biotop“ nutzen.

Aber mit jeder Überlastung, jeder Schädigung seines Biotops bestimmt er auch sein eigenes Schicksal. Denn jede Übernutzung des Biotops und seiner Ressourcen schlägt kurz oder lang auf ihn zurück.

Immer deutlicher, immer eindringlicher belegen und verdeutlichen die modernen Wissenschaften das ungemein poetische, dichte Bild des Schöpfungsberichts: Der Mensch, geschaffen aus Ackerboden, Geschöpf inmitten der Schöpfung.

Christliches Weltbild und moderne Ökologie gehen von derselben ganzheitlichen Sicht aus, von der tiefen Gemeinsamkeit, Verbundenheit und Abhängigkeit, die das Schicksal des Menschen und der Natur miteinander verknüpfen.

Wie es Teilhard de Chardin formuliert hat:

„Das Los des Menschen ist an das Los der Natur selbst gebunden.“

Der Pfad Buddhas

Ähnliche ganzheitliche Denkansätze wie im alttestamentarischen Schöpfungsglauben finden wir auch in anderen großen Weltreligionen, die deshalb heute auch jene besonders faszinieren, die in der Umweltkrise Halt und Richtung suchen. So hat sich ja auch gerade St. Ottilien immer wieder für die Faszination der Lehre, des „Pfades“ Buddhas geöffnet.

Die indische Naturmystik findet ihre Anhänger auch und gerade darin, dass es in dieser Religionstradition keinen Bruch zwischen dem Menschen und der nichtmenschlicher Natur gibt. Ziel des Menschen ist es, zu Einheit und Harmonie mit dem Kosmos zu gelangen.

Die Kehrseite dieser Weltsicht wird dabei manchmal übersehen: Es ist die starke – in unseren Begriffen „gnostische“ – Tendenz der indischen Mystik, in der Versenkung und im Einswerden mit dem universellen Sein die Nöte und Bedürfnisse des realen Lebens, der Gesellschaft und des Mitmenschen zu vergessen.

Diese Tendenz widerspricht unserem abendländischen Verständnis von Würde und Wert des Individuums und von der sozialen Verantwortung des Einzelnen gegenüber seinen Mitmenschen.

Gaia – Mutter Erde

In ihrer Suche nach einer überzeugenden spirituellen Deutung des Verhältnisses von Mensch und Umwelt greifen viele auch auf alte Mythen zurück – oder das, was sie für solche halten. So hat Gaia, die Mutter Erde, in der New-Age- und Öko-Esoterik-Szene viele Gläubige gefunden.

Das reicht bis in höchste politische Ebenen. Beim großen UNO-Weltgipfel über Umwelt und Entwicklung in Rio vor 20 Jahren sprach der damalige UNO-Generalsekretär Boutros Boutros-Ghali sich für einen neuen ethischen und politischen Vertrag mit der Natur aus:

„Für die Alten war der Nil eine Gottheit, ebenso der Rhein… Überall auf der Welt war die Natur Sitz der Gottheit… Die Erde hat eine Seele. Sie wieder zu entdecken und auferstehen zu lassen, ist das Ziel von Rio.“

Oder wie Al Gore schrieb, der ehemalige Vizepräsident der USA und Friedensnobelpreisträger von 2007:

„Wir dürfen nicht zögern, den alten Glauben an einen Pakt zwischen Gott und den Menschen aufzugeben. Es geht darum, einen neuen Glauben zu entwickeln…

Der in primitiven Religionen gepflegte Kult von der Mutter Erde könnte dem modernen Menschen viel geben.“

Wer nur ein wenig in der griechischen Mythologie blättert, wird rasch feststellen, wie unendlich fern und fremd uns heute diese Vorstellungen tatsächlich sind. Gaia, die Urmutter, ist alles andere als friedlich und mütterlich, sondern von einer unfassbaren, blutrünstigen

Grausamkeit und Gewalttätigkeit. Das idyllische Bild von der „Mutter Erde“ mag manchen modernen Menschen Hoffnung geben, hat aber mit dem alten Mythos nichts zu tun.

Das Judentum und das Christentum haben die alte Welt der Naturgötter, der Sonnengötter und Mondgöttinnen, in der jeder Baum und Bach sein „genus loci“, seinen Schutzgott und Quellgeist hatte, gründlich entmystifiziert und entdivinisiert. Wir können in diese alte, vergangene Welt wohl kaum zurück, selbst wenn wir es wollten – was uns Christen fern liegt.

Aber dieser Wunsch, zum Kult der Urmutter Gaia zurückzukehren, zeugt von einer Sehnsucht, die das Christentum offenkundig nicht zu stillen verstanden hat. Es gibt das Wort von den Sekten als den „Sünden der Kirche“. Auch dieser Rückfall in das alte Heidentum, diese postmoderne kulturelle Entropie, diese heimatlose vagabundierende Öko-Spiritualität ist wohl eine „Sünde der Kirche“.

Uns ist offenbar nicht gelungen, diese Menschen davon zu überzeugen, dass auch uns die Natur heilig ist: Nicht als Gottheit selbst, sondern als Schöpfung, in der Jesus Christus selber zum Geschöpf geworden. Ernesto Cardinal hat dies wunderbar ausgedrückt:

„Die Natur ist für den Christen heiliger, als sie es je für den heidnischen Pantheismus war… Die Fleischwerdung des Wortes geht über alles hinaus, was sich pantheistische Philosophen je träumen ließen.“

Politik der Nachhaltigkeit

Wie der biblische Schöpfungsglaube sieht auch die moderne Wissenschaft Mensch und Umwelt aufs Tiefste miteinander verbunden. Das hat inzwischen auch das Selbstverständnis und die Ziele moderner Umweltpolitik maßgeblich beeinflusst. Seit der großen UNO-Umweltkonferenz von Rio des Jahres 1992 wird moderne Umweltpolitik vom Begriff der Nachhaltigkeit geprägt.

In der Rio-Agenda 21 hat sich die internationale Staatengemeinschaft damals auf das Leitbild einer nachhaltigen und zukunftsfähigen Entwicklung verständigt. Dieses Leitbild vernetzt die Ziele, die natürlichen Lebensgrundlagen zu erhalten, wirtschaftlichen Wohlstand zu ermöglichen und für soziale Gerechtigkeit zu sorgen.

Diese drei Säulen der Ökonomie, Ökologie und sozialen Gerechtigkeit sind aufs Engste miteinander verbunden. Eine zukunftsfähige, nachhaltige Entwicklung ruht auf ihnen allen dreien.

Für uns Christen hat dieses Prinzip der Nachhaltigkeit seine Wurzel in unserem christlichen Schöpfungs- und Menschenbild. Doch sein ethischer Kerngehalt, die Verantwortung für die kommenden Generationen, ist gemeinsames Erbe aller großen Weltanschauungen und Religionen dieser Welt. Das macht das Leitbild der Nachhaltigkeit zu einem globalen Welt-Ethos, und damit auch zu einem Stück Hoffnung.

Wir haben mittlerweile lernen müssen, dass nur der Politik-Ansatz der Nachhaltigkeit der Komplexität aller Umweltherausforderungen (zumindest im jeweiligen Ansatz) gerecht wird. Ob regional die Dürre und Hungersnot in Somalia oder global der Klimawandel und seine Folgen gerade für die Entwicklungsländer, die an ihm am wenigsten Schuld tragen: Jeder Versuch einer Lösung muss davon ausgehen, dass die Zukunft von Mensch und Umwelt aufs engste miteinander verbunden sind und auch bleiben.

Der Heilige Vater als der große Theologe, der er ist, hat dem Ganzen noch eine weitere, tiefere Dimension hinzugefügt, indem er die „Umweltökologie“ mit einer „Humanökologie“ verbunden hat. Vor zwei Jahren hat Papst Benedikt XVI. in seiner Enzyklika „Caritas in veritate“ geschrieben:

„Die Verhaltensmuster, nach denen der Mensch die Umwelt behandelt, beeinflussen die Verhaltensmuster, nach denen er sich selbst behandelt, und umgekehrt…

Wenn in der Gesellschaft die „Humanökologie“ respektiert wird, profitiert davon auch die Umweltökologie…

Das Buch der Natur ist eines und unteilbar, sowohl bezüglich. der Umwelt wie des Lebens und der Bereiche Sexualität, Ehe, Familie, soziale Beziehungen, kurz der ganzheitlichen Entwicklung des Menschen.“

Auftrag der Kirche

Was sollten wir als christliche Erzieher und christliche Politiker von unserer Kirche erwarten und erbitten?

Die Kirche hat in der großen umweltpolitischen Grundsatzdiskussion der vergangenen Jahrzehnte eine moderne Schöpfungstheologie entwickelt, die dem Christen in der heutigen Welt, in der Diskussion mit Wissenschaft und Politik, im Unterricht und im Gespräch mit jungen Menschen eine Fülle von hilfreichen Erkenntnissen bereitstellt.

Nur um die wichtigsten Äußerungen der Kirche in Deutschland zu nennen:
Die Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz von 1980 zu Fragen der Umwelt und der Energieversorgung „Zukunft der Schöpfung – Zukunft der Menschheit“

Die gemeinsame Erklärung des Rates der EKD und der deutschen Bischofskonferenz von 1985 „Verantwortung wahrnehmen für die Schöpfung“.

Die Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz von 1998 „Handeln für die Zukunft der Schöpfung“, der ein großer Brückenschlag zwischen der christlichen Schöpfungstheologie, der Umweltethik und dem Leitbild der Nachhaltigkeit gelungen ist.

Schließlich der von den deutschen Bischöfen veröffentlichte Expertentext vom September 2009 „Der Klimawandel: Brennpunkt globaler, intergenerationeller und ökologischer Gerechtigkeit“.

Dankbarkeit ist angebracht für diese überaus fundierten und umfassenden Erklärungen und für viele andere positive Aktionen und Signale. Dennoch bleibt auch in der Katholischen Kirche eine gewisse „Umweltvergessenheit“, wie Professor Linenkamp, der Autor des Positionspapiers zum „Klimawandel“ formuliert.

Für manchen in der Katholischen Kirche gehört Umweltschutz eben nicht zum „Kerngeschäft“. Das Bewusstsein, dass soziale Gerechtigkeit, wirtschaftliche Effizienz und umweltgerechtes Handeln auf das Engste zusammengehören, ist längst nicht ausreichend verbreitet.

Die große katholische Soziallehre ist um das notwendige Kapitel Nachhaltigkeit noch nicht fortgeschrieben. Dabei ist die soziale Frage mit der Umweltfrage untrennbar verbunden. Und – bei allem Respekt vor unserem verehrten bayerischen Papst – auf eine päpstliche Enzyklika zur ökologischen Frage hoffen wir nach wie vor. Die Verlängerung der Wartezeit erhöht proportional die Dringlichkeit der Vorlage. Der Wandel, der in Um- und Mitwelt im Gange ist und bleibt, muss aber auf solche Leitplanken setzen können, wenn er eingeschränkt verändern soll und will.

Nur noch ein kleines Beispiel:

Die diesjährige Pfingstaktion von „Renovabis“ hatte das Leitwort „Gottes Schöpfung – uns anvertraut“. Diese Aktion bekam Gegenwind mit dem Tenor: „Den Glauben verkünden, nicht die Mülltrennung“ – so ein Leserbrief in der „Tagespost“.

Hier wird vergessen, dass es in der Verantwortung für die Schöpfung, welche die Aktion gemeint hat, um den ganzen Menschen geht, um sein Heil, um seine Beziehungen zu Gott und zu den Mitmenschen.

Um noch mal die Enzyklika „Caritas in veritate“ zu zitieren: „Die Kirche… muss vor allem den Menschen gegen seine Selbstzerstörung schützen“. Das ist der Kern des Leitbilds Nachhaltigkeit.

Die Kirche sollte aber nicht nur Nachhaltigkeit lehren, sondern auch praktizieren. Ethische Forderungen wirken umso glaubwürdiger, als sie das eigene Handeln prägen.

Unsere Erzabtei St. Ottilien liefert mit ihrem Energiekonzept, das sich nicht mehr auf fossile Brennstoffe, sondern auf nachwachsende Rohstoffe stützt, ein glänzendes, überzeugendes Beispiel.

Hier gäbe es unendlich viele Möglichkeiten: Von ökologisch ausgerichteten Katholikentagen über klimaverträgliches Bauen, Renovieren, Einkaufen und Reisen. Die Kirche kann, wenn sie will, ihre Marktmacht als Konsumentin von Dienstleistungen und Waren nutzen, um sozial und ökologisch fair produzierte und gehandelte, klimafreundliche Güter, vom Mobiliar bis zum Auto zu fördern. Sie kann ihre Vermögenswerte aus klimaschädlichen Anlageformen zurückziehen und künftig ausschließlich (wenigstens vorrangig) ökologisch, ethisch investieren.

Darum eine Bitte: Viele von Ihnen sitzen in Pfarrgemeinderäten und in kirchlichen Institutionen und Organisationen. Neben allem Ihrem verdienstvollen Wirken dort wäre sicherlich noch ein wenig Zeit und Raum für Initiativen zugunsten von Nachhaltigkeit, Umwelt und Mitwelt.

Natur als Bild und Spur Gottes

Sie tagen in einer Erzabtei unseres hochverehrten Hl. Benedikt (I.). Dennoch möchte ich mit einem Wort der „Konkurrenz“, mit dem Wort eines großen Franziskaners schließen. Dieser war einer der einflussreichsten Theologen der Scholastik und „Fürsten unter den Mystikern“, wie Papst Leo XIII. ihn genannt hat: Der Heilige Bonaventura.

Das Wort Bonaventuras steht in einer theologischen Tradition von Augustinus bis Luther. Diese spricht von einem zweifachen Buch der Gottesoffenbarung: Dem der Hl. Schrift und dem der Schöpfung. Nicht erst in der Heilsgeschichte, sondern schon in der Schöpfung spreche sich Gott aus: Die Schöpfung als „imagines et vestigia Dei“, die Natur als Bild und Spur Gottes.

Aus dieser Tradition schöpft Bonaventura:

„Wer vom Glanz der geschaffenen Dinge nicht erleuchtet wird, ist blind;
wer durch dieses laute Rufen der Natur nicht erweckt wird, ist taub;
wer von diesen Wundern beeindruckt, Gott nicht lobt, ist stumm;
wer durch diese Signale der Welt nicht auf den Urheber hingewiesen wird, ist dumm.
Öffne darum Deine Augen, wende Dein geistiges Ohr ihnen zu, löse Deine Zunge und öffne Dein Herz, damit Du in allen Kreaturen Deinen Gott entdeckest, hörest, lobest, liebest…,
damit nicht der ganze Erdkreis sich anklagend gegen Dich erhebe!“

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